Spielsucht, Erbschleicherei und unerfüllte Liebe auf Russisch. Am Ende nur Verlierer. Und überhaupt: eine Oper, die Nicht-Pensionisten in Wien noch nicht live erlebt haben. Klarerweise könnte es sich die Wiener Staatsoper selbst und dem Publikum einfacher machen, als Sergej Prokofjews Der Spieler nach der literarischen Vorlage von Fjodor Dostojewski als erste Premiere der Saison anzusetzen. Aber Mut kann man nicht kaufen, und das Wiener Publikum weiß ehrgeizige Projekte zu schätzen.
Dostojewski ist unbestritten einer der größten Erzähler aller Zeiten; nicht zuletzt, weil er seinen teils autobiografischen Roman Der Spieler gar nicht geschrieben, sondern diktiert hat. Neben einem erschreckenden Blick in die Abgründe der menschlichen Seele bietet dieser auch viel Situationskomik in einer bizarren Welt, auch wenn Prokofjew als sein eigener Librettist gut ein Drittel der Handlung gekürzt hat: In der fiktiven Glücksspielmetropole Roulettenburg wartet ein verschuldeter General ungeduldig auf den Tod einer reichen Erbtante; der dadurch erwartete Geldsegen soll ihm unter anderem die Ehe mit einer sexy Französin namens Blanche ermöglichen. Als besagte Erbtante jedoch plötzlich auftaucht und ihren Reichtum lieber selbst beim Roulette verliert, ist das finanzielle und amouröse Chaos perfekt. Alexej, die zentrale Figur der Geschichte, ist daran nicht unschuldig; seine Anstellung als Hauslehrer beim General hat er ohnehin schon verloren, und schuld daran sind seine sklavisch-ergebenen Gefühle für die Generals-Stieftochter Polina, auf die er mehr als ein dienstliches Auge geworfen hat. Es stellt sich heraus, dass dieses rätselhafte Wesen ebenso wie ihr Stiefvater, Schulden bei einem französischen Marquis und andere Kalamitäten hat. Geschenkt möchte sie nichts haben, auch nicht von Alexej, der beim Roulette plötzlich eine Glückssträhne hat. Letzten Endes ist Alexej allein und nicht mehr Herr seiner Sinne (in der vorliegenden Inszenierung auch, weil ihm tierische Klauen gewachsen sind, mit denen er Polina umbringt.)
Auf diese Weise das Tierische im Süchtigen zu zeigen ist zwar nicht werktreu (Alexej ist kein Mörder), aber Sinn macht dieses Ende in der gut durchdachten und auch optisch interessanten Inszenierung von Karoline Gruber sehr wohl: Nachdem sich das Geschehen bis dahin fröhlich im Kreis gedreht hat, nämlich in Form eines heruntergekommenen Ringelspiels, Symbol für Roulettespiel und Teufelskreis der Spielsucht, ist Schluss mit der kindischen Lust nach Triebbefriedigung. Die Sucht zeigt ihre hässliche, tödliche Fratze. Wenn man bedenkt, wie viele zerstörte Existenzen, zerstörte Familien auf das Konto von Spiel- und Wettsucht gehen, hat Gruber hier bestimmt nicht übertrieben. Ihre detailliert erarbeitete Personenführung sorgt auch dafür, dass man bei der Menge an Bühnenpersonal den Überblick nicht verliert. Dabei hilft auch der Kunstgriff, dass die Hauptakteure farblich akzentuiert erscheinen, während die Randfiguren unscharf-blass bleiben. Man kann das auch so lesen, dass Süchtige in erster Linie mit sich und ihrer Sucht beschäftigt sind, und nur wenig von ihrer Umwelt wahrnehmen.