Seit Jahrzehnten gern gehörte Gäste sind in Erlangen die Symphoniker aus dem nur 40 Kilometer entfernten Bamberg. Die gut 1000 Hörer fassende Heinrich-Lades-Halle bietet mit ihrer dunkelroten Nussbaum-Vertäfelung ein warmes Klangbild, das auch die Präsentation großformatiger Orchesterwerke unterstützt. „Was wir lieben“: so lautet das aktuelle Jahresmotto der Konzertprogramme der Bamberger Symphoniker; einem speziellen Aspekt widmete sich die Werkfolge des Abends, die sehnsüchtig Unerreichbares wie umgekehrt schmerzlichen Verlust thematisierte. Mit Andrés Orozco-Estrada, designierter GMD der Stadt Köln und Gürzenich-Kapellmeister, konnten die Erlanger an diesem Abend einen Gastdirigenten aus Kolumbien begrüßen, der bereits als Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters Frankfurt erfolgreich wirkte.
Nach einem Gedicht von Stéphane Mallarmé schrieb Claude Debussy seine Orchesterdichtung Nachmittag eines Fauns: eine Naturgottheit, die über die Fruchtbarkeit von Tier und Natur wacht und sich im Mittagslicht am traumhaften Spiel mit betörenden Nymphen berauscht. Zart, wie selbstverloren setzte das Flötensolo ein; die bukolisch satte, sinnlich strömende Melodie wanderte von den Holzbläsern zu den Streichern, Harfenarpeggien brachten federnde Gespanntheit ins Spiel. Doch die schönen Wesen entwichen ihm, er sieht sich verschmäht, und festhalten kann er sie nur in seiner erotischen, kreisenden Fantasie. Sehnsucht erscheint ihm besser als Erfüllung: glutvolles Schimmern gestaltete Orozco-Estrada wundervoll mit den Musikern aus Bamberg.
Allzu reales Verlusterlebnis hatten sowohl der Dichter und Übersetzer Friedrich Rückert sowie der Komponist Gustav Mahler zu beklagen. Eines der sogar stadtgeschichtlich ergreifendsten Ereignisse war 1833 der frühe Tod der beiden jüngsten Kinder des Sprachgelehrten Rückert, der seit 1826 eine Professur an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen innehatte. Ein halbes Jahr lang konnte er nichts anderes dichten als Verse, die den Tod von Luise und Ernst reflektierten, insgesamt über 400 Gedichte. Als Kindertodtenlieder sind sie in die Literaturgeschichte eingegangen, einen Zyklus von fünf daraus hat Gustav Mahler, der selbst einige Geschwister im Kindesalter verlor, ab 1901 vertont. 1907 starb Tochter Maria-Anna von Gustav und Alma an Scharlach-Diphtherie. Auch fünf weitere Gedichte von Rückert setzte Mahler um 1901 in Musik; eine explizite Reihung hinterließ er hier nicht.
Mit kontrollierter Strahlkraft sowie rund und weich fokussierter Spitzenstimme bei nur sparsamem Vibrato gestaltete die Sopranistin Christiane Karg den Solopart dieser Mahlerschen Rückert-Lieder. Waren es sonst eher die dramatischen Mezzosoprane wie Janet Baker oder Brigitte Fassbaender, die mit ausgeprägter Mittellage die Ausstrahlung dieses Zyklus bestimmten, beeindruckte Karg nun mit herausleuchtend feiner Sopranhöhe, unter der das Brustregister nur etwas zurückhaltender ansprach. Bemerkenswert ihre herausragende Textverständlichkeit, die Rückerts Gedanken zu privater Idylle wie persönlichen Ängsten, Herzschlag wie Weltgetümmel plastisch entstehen ließen. Ein Höhepunkt war das lyrische Um Mitternacht, zu dessen Erzählung Horn, Flöte und Tuba nächtliche Unruhe und Frösteln fühlbar machten. Und schließlich Ich bin der Welt abhanden gekommen: subtilste Schattierungen und schwebendes Legatissimo zeichneten Kargs Gesang da aus, heilige Schauer bei „Ich leb’ allein in meinem Himmel” und einem fast unwirklich verlöschenden Orchesternachspiel, das wie kostbare Seide sich über die beklemmende Stimmung legte. Eine beglückend gelungene Interpretation!