Das System Ludwig XIV., wie man es in Anschluss an den Historiker Peter Burke nennen könnte, ist für seine zahlreichen Innovationen im Bereich der Kultur bekannt. Für das Feld der Operngeschichte ist der König sogar dafür verantwortlich, dass auf seinen Befehl eine eigene Gattung kreiert worden ist. Sein Protegé Jean-Baptiste Lully und dessen Librettist, der Dichter Philippe Quinault, schufen zu Ehren ihres Herrschers ab dem Jahr 1673 mit der tragédie en musique eine originär französische Oper, deren Glanz bis zum Ende des 18. Jahrhundert anhalten sollte.
Anders als in der gesprochenen Tragödie der Zeit – man denke an die großartigen Schöpfungen von Pierre Corneille und Jean Racine – steht hier die dramatische Welt Kopf. Statt die Wahrscheinlichkeit als oberstem Prinzip frönt diese Gattung der Kunst des Wunderbaren. Mit Hilfe von Maschinen, Dekor und Ballett soll das Publikum verzaubert werden und ganz die Kunstwelt, die diese Opern erschaffen, genießen können. Gilt dieses Prinzip noch unhinterfragt für die frühen Werke von Lully und Quinault, so stellen sie es künstlerisch in ihrem gemeinsam geschaffenen Spätwerk Armide aus dem Jahr 1686 gekonnt in Frage. Brachte das Wunderbare sonst die Lösung des dramatischen Knotens, so scheitert es in dieser letzten Oper des Duos an den äußeren Umständen der Handlung.
Dass Maschinenzauber und Ausstattung nicht einmal erforderlich sind, um einen in jeglichem Sinne verzaubernden Opernabend zu schaffen, zeigten die ausübenden Künstler unter der Leitung von Christophe Rousset bei der konzertanten Aufführung der Oper Armide am Theater an der Wien. Einen großen Verdienst zu diesem Gesamterlebnis hat vor allem die grandiose Interpretation der Titelrolle durch die Sopranistin Marie-Adeline Henry. Sie sang nicht nur die Armide, sie war Armide. Spürbar durch die szenische Einstudierung an der Opéra National de Lorraine beeinflusst, zeichnete sie ein ausdrucksstarkes Portrait der scheiternden Zauberin, das sie als große Tragödin auswies. Höhepunkte ihrer Interpretation stellten zweifellos ihre beiden großen Monologe dar, die sie mit feinsinnig abgestimmten stimmlichen Mitteln wie auch großem Ausdruck zu gestalten wusste.
Leider stand ihr dabei ihr Gegenpart und verzauberter Liebhaber Renaud, der von Antonio Figueroa gesungen wurde, in einigem nach. Vom Timbre her weniger für die sehr hohe haute-contre-Partie geeignet, erschien er neben seiner Partnerin etwas blass. Diesen Makel wusste er aber gut zu kaschieren, indem er seiner Rolle eine eigene und für seine stimmlichen Mittel passende Gestaltung gab. Ganz anders und dem Stil der Oper angemessener gestaltete der Haute-Contre Cyril Auvity seine beiden kleinen Partien. Seine fein geführte Stimme hätte ihn wohl eher für die Partie des Renaud prädestiniert, aber ihm verblieb lediglich das Vergnügen, das Publikum als dänischer Ritter und als glücklich Verliebter zu verzaubern.