Kunst und Wissenschaft, Metaphysik und Evolution. Diese großen Paradigmen wurden am Abend der Uraufführung von Extinction of a Minor Species greifbar getanzt. Ohne Worte, nur Körper erzählten mehrere Geschichten von der Prähistorie bis in die Zukunft. Schön, verstörend, sexuell, vulgär, gewaltvoll. Der ganze Ablaufplan einer Menschheitsgeschichte suchte seine Wurzeln in diesem Stück. Das dreiteilige Werk (A Minor Extinction, Premonitions of a Larger Plan, Postgenoma) suggerierte eine androide Geschichte, die einen an futuristische Kinoproduktionen erinnerte. Archaische Themen in Zukunftsbilder zu projizieren und der Frage nach dem Leben zu unterwerfen ist ein häufiges Thema des aktuellen Hollywood-Kinos, auf der Bühne ist es aber ein älterer Topos: Man denke an Stravinsky und Künstler der frühen Avantgarden, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Theaterstücke unter dem Rückbezug auf die Urkräfte schrieben und diese Themen auch auf die Leinwand bannten.
Was leistet die getanzte Uraufführung zu diesem Topos? Welchen Stellenwert kann die Technik und die Wissenschaft bei solchen Narrativen einnehmen? In tänzerischer Manier gesagt: Prothesen, die den menschlichen Körper auf Stelzen stemmen und zu komischen Göttern und Satyr-Wesen werden lassen. Etwas schleppend trugen sich diese über die Bühne. Sie schlichen wie vergessene Götzen daher.
Aber die Eröffnung, das war der Urknall, die zündende Energie, das Gewitter, aus dessen Energieraum der ganze Abend zehrte. Zusammengepfercht und im Schutz des Schwarms koordinierte sich ein komponierter Körper aus vielen Tänzern, der von den übermenschlichen Wesenheiten gesprengt wurde. Dabei ertönten bis ins Mark dringende Bässe und sphärische Klänge von 48nord, die zusammen mit dem Licht-Donner einen fulminanten Einstieg leisteten.
Und irgendwo eröffnete Basso Ostinato, eine zeitgenössische Komposition von Rodion Schtschedrin, die Möglichkeiten für Ruslan Bezbrozh die Tänzer zu begleiten. Die restliche Musik wurde eigens für diesen Abend komponiert und bestand aus Bezbrozhs gekonnt eingeworfenen Improvisationen und der typisch elektronischen Sound-Welt von 48nord. Dabei blieb die Uraufführung vor allem ein visuelles Ereignis, bei der die Musik des öfteren in Vergessenheit geriet. Sie begleitete die Szenen, wurde zur Erfahrung des ästhetischen Erlebnis genutzt und war hauptsächlich filmische Untermalung.
Die Tänzer wurden ihres Körpers enthoben. Das Menschliche überhaupt suchte man in vielen Szenen, ohne es so richtig zu finden. Kaltes Licht, in andere Welten werfende Bewegungen, auch die Kostüme sorgten für die apokalyptischen Bilder. Eines davon: Töne, in den kalten Tiefen elektronischer Musik gefunden, begleiteten den Auftritt einer Göttin. Diese lief in Zeitlupe durch die Luft, unter ihr formierten sich immer wieder neu die kriechenden Körper, um ihren langsam gesetzten Fuß in ein weiches federndes Bett aus Händen und Muskeln zu tragen. Von einer Welle aus halbnackten Körpern wurde die Schaumgeborene gruselig langsam bis in die Mitte der Bühne gespült. Solche Glanzstücke brachen den tänzerischen Bewegungslauf auf.