„So haben Sie Wagner noch nie gehört!” Vom Risiko der Neuinstrumentierung der Götterdämmerung sprach am Ende im Würzburger Mainfranken Theater niemand mehr. Eberhard Kloke hatte schon in Bochum und Nürnberg großangelegte Zyklen mit zeitgenössischer Musik-Programmatik vorgestellt, stieß in den Jahren um 1990 nicht überall auf begeisterte Musiktheater-Abonnenten. Seine jüngste Einrichtung von Wagners Götterdämmerung, die das originale Orchester von über 100 Musikern – allein 6 Harfen oder mehr als 60 Streicher! – auf die Proportionen eines mittelgroßen Orchestergrabens reduziert, wurde durch Enrico Calesso und das Philharmonische Orchester Würzburg bravourös aus der Taufe gehoben und vom Publikum einhellig begrüßt. Da werden etwa einige der geforderten Harfen durch eine Celesta ersetzt, ein Viertel der Bläser und fast die Hälfte der Streicher herausgenommen. Die verbliebenen Musiker haben dafür mehr zu tun, erschaffen trotzdem randvoll suggestiven Wagner-Sound, in dem Wagnertuben, Stierhörner und Kontrabassposaune ihren Platz behalten und weiter typische Ringfarben ausmalen.
Es ist eher ungewöhnlich, dass eine Beschäftigung mit Wagners Ring zuerst in die Inszenierung der Götterdämmerung mündet. Dabei hat Wagner selbst seine Annäherung an die Nibelungensage mit dem Drama von Siegfrieds Tod begonnen und erst später den Jungen Siegfried und die Walküre zum besseren Verständnis der Verflechtungen vorangestellt. Der junge japanische Regisseur Tomo Sugao, nach spektakulären Inszenierungen von Meyerbeers Hugenotten und Adams’ Politoper Nixon in China bestens am Mainfranken Theater bekannt, lässt daher die in der Götterdämmerung vielfältig vorgetragene Vorgeschichte auch für den Zuschauer bildhaft werden: eine Hälfte der Handlung bewegt sich zwischen den Vitrinen eines Historienmuseums, in denen Rheingold, Walhalla oder die Weltesche wie konservierte Exponate bestaunt werden können und in denen die Auftritte von Brünnhilde, den Rheintöchtern oder dem stummen Wotan spielen. Paul Zoller hat das Bühnenbild dieser beeindruckenden Zeitreise entworfen; für die Szenen im Gibichungenpalast öffnet sich eine hohe, mit dichten auch als Projektionsfläche genutzten Stores umhängte halbrunde Halle. Carola Volles Kostümierung kleidet die mythologische Götterwelt in monochrome Anthrazittöne, zeichnet dagegen eine schrill-leuchtfarbene Gibichungen-Schickeria beschlipster Angestellter wie beschwipster genusssüchtiger Lebedamen am Broker-Schreibtisch.
Wotan setzt sympathisierend auf den freien Held Siegfried, um sein Werk zu krönen, gegen seinen dunklen Gegenspieler Hagen, Sohn des Nibelungen Alberich, dessen Rheingold-Raub das unglückliche Drama erst ausgelöst hatte: Tomo Sugao fokussiert faszinierend deutlich auf die Konfliktsituation dieser Pole. Insbesondere Hagen ist dabei Triebfeder ebenso wie Getriebener, der keine Mutterliebe empfangen durfte und vom Vater zur Rückgewinnung des Goldschatzes instrumentalisiert wird. Hagens Machtbesessenheit, seine listige Zerstörung der Liebe zwischen Siegfried und Brünnhilde, Siegfrieds Ermordung: die Nornen, die bei Wagner eigentlich nur in der Vorspiel-Szene auftreten, erzählen dem jungen Hagen, der als Kinderstatist immer wieder auf der Szene präsent ist, aus dem Geschichtsbuch die wahre Historie, werden von Alberich dafür schikaniert. Starke Bilder und anrührende Seelenportraits, aber auch karikierende Gestik stummer Komparsen bleiben im Gedächtnis.