Engelbert Humperdincks Oper Königskinder wird oft als die kleinere, vernachlässigte Schwester seiner so bekannten wie beliebten Hänsel und Gretel, bezeichnet. Unrechtmäßig jedoch, weil die Geschichte dieses Kunstmärchens an die düsteren Ursprünge der heute so oft mit Happy End abschließenden Märchen – beispielsweise der Gebrüder Grimm – erinnern. Vor der Überarbeitung der sogenannten Kinder- und Hausmärchen in gefälligere, für Kinderbücher angebrachte und in die damaligen Ideale der Romantik und des Biedermeier passenden Erzählungen, lagen den Sagen und Märchen andere Vorlagen zugrunde. In diesen Märchen ereilen Aschenputtel, Rapunzel und Co. ein oft grausames Schicksal, ganz anders, als es in zahlreichen, sich immer weiter von den originalen Texten entfernenden Disney-Produktionen kolportiert wird.
Kein Happy End, stattdessen werden die Charaktere, die stets zwischen Märchen und Realismus wandeln, letztlich von der Realität eingeholt. Sowohl Elemente des Realismus als auch des Symbolismus kommen effektvoll zu tragen und so schwingt in den Königskindern trotz der oberflächlichen Heiterkeit, die die Musik gelegentlich anbietet, eine zutiefst traurige Melancholie mit. Die Momente des Glücks sind kurz und karg gesät. Trotz Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang, ahnt man bereits die Vergeblichkeit dieses Wunsches.
Das auf verschiedenen Märchenmotiven basierende Melodram von Elsa Bernstein-Porges erinnert an die Volksballade Es waren zwei Königsinder. Trotz unterschiedlicher Handlung lässt die Librettistin auch hier ein tragisches, moralisierendes Ende eintreten, auf die auch die letzten Verse der überlieferten Ballade nur allzu gut passen: „Da hört man Jammer und Not, Hier liegen zwei Königskinder, die sind alle beide tot!“
Doch in Bernstein-Porges Adaption trifft der Königssohn, vor seinem Vater und seiner Verantwortung fliehend, inmitten des einsamen Waldes, abgeschnitten und fern aller Menschen aufgewachsen, die Gänsemagd, die von ihrer hexerischen Großmutter manipuliert und klein gehalten wird. Verliebt wollen die beiden fliehen, doch der Bannkreis der Hexe hält sie davon ab. Glücklicherweise haben sie den Spielmann auf ihrer Seite, der, als Antagonist der Hexe, ihnen immer wieder zu Hilfe eilt. Doch auch von der Stadtbevölkerung vertrieben, irrt das Paar hungrig und kraftlos durch den Wald, ihrem bitteren Ende unweigerlich entgegen.
David Böschs Inszenierung an der Oper Frankfurt greift diese dunkle Grundstimmung auf und verstärkt sie zusätzlich durch ihre unverwechselbare Ästhetik. Mit einfachsten Mitteln werden eindrucksvolle, schauderhafte, aber auch verzaubernde Bilder geschaffen, die die Geschichte um die Königskinder auf eindringliche Weise erfahrbar machen. Die bereits neun Jahre alte Produktion hat nichts von ihrer schwermütigen Schönheit und direkten Bildsprache verloren: Sei es die graue Tristesse der schmutzigen Hellastadt (oder „Höllastadt“, wie Bösch sie tauft), oder die aus Papier geschnittenen Blumen und Gänse, mit denen sich die Gänsemagd ihre eigene eskapistische, naive Welt schafft und welche sich am Ende des ersten Akts in Feuer und Rauch auflöst.