Normalerweise gehen die Generalproben bei diesem renommierten Tanzensemble ohne große Korrekturen über die Bühne. Zum Saisonauftakt tanzte das Niederländischen Tanztheater dies Woche jedoch eine Ode an ihren langjährigen künstlerischen Leiter, den großen Choreographen Jiří Kylián. Am Vorabend der Premiere gab der Meister höchstpersönlich noch seine Anweisungen zu jedem einzelnen der drei zu diesem Anlass ausgewählten Choreographien. Das Premierenpublikum mit der ehemaligen Königin der Niederlande und der éminence grise des holländischen Tanzes, Hans van Manen, konnte dadurch einen nahezu perfekten Tanzabend genießen.
Der Abend begann surrealistisch mit Tar and Feathers (Teer und Federn) aus dem Jahr 2006. Der Tanzboden ist auf der einen Hälfte schwarz, zur anderen weiß. Auf der schwarzen Seite steht ein Konzertflügel auf meterhohen Stützen und erinnerte an Dali’s surreal langbeinige Elefanten. Die Pianistin Tomoko Mukaiyama improvisierte dort in luftiger Höhe um ein Mozartthema, das durch Dirk Haubrichs elektronische Klänge ab und zu verfremdet wurde. Aus völliger Bewegungslosigkeit entwickelten Thalia Crymble, Scott Fowler, Nicole Ward, Luca Tessarini, Anna Bekirova und Jon Bond miteinander hochkomplizierte Bewegungsabläufe. Die imponierende minimalistische Körperakrobatik wurde urplötzlich von aggressivem Hundegebell unterbrochen, das aus dem Mund der Tänzer zu kommen schien. Die Musik Mozarts wechselte sich zunächst ab mit Jazzelementen, dann wieder mit Elektrosounds. Eine Tänzerin lief in Zeitlupe auf dem Rücken zweier Tänzer, als wären diese Alligatoren.
Kylián sprach aus dem Off Sätze aus Samuel Becketts letztem verzweifeltem Gedicht What is the word, das mit dem mehrmals wiederholten Wort „Folly” (Aberwitz) beginnt. Die quasi gestammelten Wortfetzen wurden durch eine Tänzergruppe in Hawaii-Kostümen in eine Art Taubstummensprache übersetzt, was erst komisch, dann aber auf den von Kylián selbst zunehmend mit Husten überdeckten Text zusehends tragisch wirkte. Tar and Feathers hat Kylián seiner Muse und Lebensgefährtin Sabine Kupferberg gewidmet. Es endet mit einer Tänzerin, die sich auf der weißen Bühnenhälfte verstohlen-vorsichtig über (elektrisch verstärkte) Noppenfolie einen spannungsgeladenen und aberwitzig lautstarken Abgang verschafft.