Nerone schickt seinen Philosophen-Freund Seneca in den Tod und Ehefrau Ottavia in die Verbannung, damit er seine Konkubine Poppea heiraten kann. So sah 1643 eine venezianische Karnevalsoper aus – ein starkes Stück in jeder Hinsicht, das immer noch herausfordert.
L'incoronazione di Poppea gilt zu Recht als Schlüsselwerk der Opernliteratur, einerseits als Claudio Monteverdis letztes Bühnenwerk und Schaffenshöhepunkt, andererseits aufgrund der vielfältigen, collageartig verbundenen Szenen, in denen Librettist Giovanni Francesco Busenello das Tragische neben das Komische, das Erhabene neben das Primitive und das Reale neben das Surreale in einer Kunstfertigkeit stellt, die ihresgleichen sucht. Ein weiteres Novum zur Entstehungszeit war die komplexe Charakterisierung der Personen, welche zwar noch von der Commedia dell’arte geprägt sind, aber nicht ausschließlich Stereotype bedienen.
Für Regisseure bietet das Werk daher eine Fülle von Inspiration, und nach Robert Carsens Inszenierung für Glyndebourne, welches das Theater an der Wien 2010 in einer Neueinstudierung präsentierte, zeigt Claus Guth nun seine Sicht der Poppea. Er beschließt damit seinen bislang unter den Erwartungen gebliebenen Monteverdi-Zyklus an diesem Haus (L’Orfeo 2011, Il ritorno di Ulisse in Patria 2013) mit einer Regiearbeit, die nicht nur die Titelfigur, sondern auch das Werk krönt.
Den Prolog und alle „öffentlichen“ Szenen setzt Bühnenbildner Christian Schmidt in eine Fernseh-Quiz-Show; alles, was sich quasi hinter der Show abspielt, wird als Kehrseite der tatsächlichen Kulisse gezeigt, wobei über die Drehbühne die intimeren Schauplätze der Handlung wie Poppeas Schlafzimmer oder Ottavias Garderobe eröffnet werden. Videoprojektionen (Arian Andiel) und Licht (Olaf Winter) übersetzen dabei Stimmungen in Bilder (blauer Himmel mit Wolken, Sternenhimmel).
Am meisten beeindruckt jedoch Guths scharfe Zeichnung der handelnden Personen. Da ist einmal Nerone, der seine Sinne nicht unter Kontrolle hat, dafür von seiner Sinnlichkeit in jenem Würgegriff gehalten wird, den die Objekte seiner Begierde real zu spüren bekommen; allerdings stößt er jede/n von sich, bevor er sexuelle Erfüllung finden könnte. Dass das fatal enden muss, befriedigt zumindest jene Zuschauer, welche sich mit dem vorgeblichen Happy End der Oper, dem Poppea-Nerone-Duett „Pur ti miro“ immer schwer getan haben (und zu dem in den überlieferten Manuskripten gar kein Text enthalten ist). Möglicherweise reizt Poppea das Unberechenbare an Nerone, aber vor allem geht es ihr darum, Kaiserin zu werden. Ihre Montur für diesen Kampf mit weiblichen Waffen ist entsprechend aufreizend, billig-nuttiges Mittel zum Zweck.
Ottavia erinnert dagegen optisch an Blanche Devereaux in der Achtzigerjahre-Vorabendserie The Golden Girls, aber anders als dieser geht es ihr weniger darum, von Männern – oder gar Nerone – begehrt zu werden; wirklich schmerzlich ist nur der Verlust von Status, Heimat und Freunden, wie sie in „Addio Roma“ singt. Ottone ist ein von diesen Frauen Getriebener, der sich von seiner ehemaligen Geliebten Poppea das Leben erklären lässt, sich dann notgedrungen Drusilla (einer weiteren Ex-Geliebten) zuwendet und schließlich auf Ottavias Geheiß Poppea töten soll – Siegertypen sehen anders aus.