Als Sohn deutsch-baltischer Eltern 1903 in China geboren, wirkte Boris Blacher seit 1922 zumeist in Berlin, wo er 1953 Direktor der Hochschule für Musik wurde. Bereits Mitte der Dreißiger Jahre war er als Komponist in die Öffentlichkeit getreten, vom Strawinsky-Erlebnis ebenso inspiriert wie für neue zeitgenössische Ausdrucksmittel offen. Vor allem in Ballett-und Orchestermusiken fand er seinen eigenen vielseitigen Stil, den eine gewisse Askese gegenüber dem Tonmaterial kennzeichnet: selbst in seinen beiden Klavierkonzerten oder dem noch mehr bekannten Oratorium Der Großinquisitor auf Dostojewski-Texte zeigt er seine Neigung zu untertreiben, überrascht mit rezitativisch knappen, aufs Wesentliche reduzierten Formulierungen.
Blachers Kammeroper Romeo und Julia war bereits in den Kriegsjahren um 1943 entstanden, als die Opernhäuser in Trümmern lagen. Er konzentrierte und verdichtete den Shakespeare'schen Stoff frei auf seine Essenz: die Geschichte des Veroneser Liebespaares wurde erstmals 1947 in Berlin gespielt, vor größerem Publikum dann 1950 bei den Salzburger Festspielen mit Richard Holm und Hilde Güden unter Josef Krips uraufgeführt. Sie enthält Elemente von Oper, Ballettpantomime und konzertanter Kabarett-durchzogener Kantate, durchlebt den gefühlsgetränkt romantischen Stoff in einem einstündigen, sachlich-verstandesmäßigen Konzentrat dreier Akte mit viel Text und Bewegung. Auch in der knappen, auf Streichquintett, Klavier, Flöte, Fagott und Trompete reduzierten Orchestrierung zeigte sich wieder Blachers „Kunst des Weglassens“, die trotzdem Raum für spitzfindig verwickelte Rhythmen bis zu Jazzmotiven oder die Synthese von kühnen Mischakkorden und schlichtesten Dreiklängen lässt.
An der Deutschen Oper am Rhein in Duisburg hat Regisseur Manuel Schmitt aus der scheinbar spröden Vorlage eine im Verlauf immer packendere, nie langweilige Auseinandersetzung zwischen den Clans der Montagues und Capulets gemacht, im Fokus trotz der Kürze die schwindelerregenden Wechsel der Gefühlsausbrüche von Romeo und Julia detailliert herausgeschält. Heike Scheeles Bühnenbild stellt eine rechteckige Kampffläche, wie einen Fechtplatz oder Boxring, von einem Lichtband umgeben, in die Mitte, auf dem die Zwiste der verfeindeten Familien ausgetragen werden. Ein umlaufender schwärzlicher Balkon, von acht Türen durchbrochen, umfasst dieses Zentrum, wird flexibel Teil eines Adelspalais wie Rückzugsort des immer wieder eingreifenden achtköpfigen Chores, der – ganz in Stil antiker Tragödien – die Handlung kommentierend begleitet, voraussehend Gefahren beschwört, einfühlsam auf die beiden Protagonisten einwirkt. Allein die hellen zeitlosen Sakkos und Kleider von Romeo und Julia leuchten aus der farblosen Umgebung heraus, selbst die Familienmitglieder, dunkel gekleidet, bekommen nur kurze Momente, ihr Profil zu zeigen. Dezentes Spiel mit dem Licht (Thomas Tarnogorski) bringt kurzzeitig Bewegung in diese Kulisse, wenige Requisiten wie Briefblätter, rote Äpfel oder Giftfläschchen führen die Handlung weiter.