Ist Gaetano Donizettis Liebestrank ohne Chor denkbar? Schließlich ist er ein integrativer Bestandteil dieser Oper, sorgt für Flair, vor allem für einen flüssigen Ablauf, denn er übermittelt wichtige Handlungsinformationen, charakterisiert durch Kommentare die Figuren und ihr Verhalten. Geht diese Oper ohne die grandiosen Ensembleszenen, in denen sich der Fokus von der Dorfgemeinschaft auf die Hauptfiguren fokussiert? Vor allem: Kann diese Oper ohne das raffiniert zusammengestellte Orchester ihre komische Wirkung erzielen, das neben einer Piccoloflöte als Gegengewicht auch immerhin drei Posaunen enthält?
Beantwortet man diese Fragen mit Nein, dann müsste die neue Produktion dieses Werks an der Opera Zuid in Maastricht von vornherein zum Scheitern verurteilt sein. Nicht zuletzt durch Corona, aber auch aufgrund des Charakters dieser Operngesellschaft, die ohne festes Ensemble und ohne eigenes Haus auskommt und an unterschiedlichen Orten spielen muss, verbietet sich der große Chor, und so sind diese Passagen ersatzlos gestrichen, aber siehe da, nur wer die Oper gut kennt, wird den Chor vermissen, ansonsten nicht einmal merken, dass etwas fehlt. Auch die Ensembleszenen sind stark zusammengestrichen, und doch ist alles von der Handlung vorhanden – der verliebte, von allen als Außenseiter und Dummkopf abgelehnte Nemorino, die eitle und selbstgefällige Adina, in die er unglücklich verliebt ist, der bramarbasierende, sich als Frauenheld selbst bewundernde Belcore und der Quacksalber Dulcamara, schließlich das Happy End. Eine der größten Leistungen dieser Inszenierung besteht in der dramaturgischen Straffung. Sie kommt mit rund neunzig Minuten aus, wirkt dadurch ungemein temporeich und witzig in jeder einzelnen Minute.
Dabei hat sich Regisseur Marcos Darbyshire große Beschränkungen auferlegt. Die Produktion entstand in Zusammenarbeit mit der Nederlandse Reisopera, wird also durch die Lande touren, daher beschränkt sich das Bühnenbild auf einen einzigen Raum; Darbyshire ließ sich von Amber Vandenhoeck ein schlichtes Wohnzimmer mit kleiner Bar bauen. Hier versammeln sich alle Beteiligten, in dieser Inszenierung ein paar Schulfreunde, um die kapriziöse Adina, die sich nach dem Unterricht die Zeit vertreiben, und dazu gehört auch der abendliche Drogenkonsum, weshalb zwischen den beiden Akten alles in eine Art psychedelische Alptraumwelt mutiert.
Mit dieser Verjüngung des Personals gelingt Darbyshire gleich zweierlei. Zum einen trifft er damit das Zielpublikum, denn die Opera Zuid strebt ein junges Publikum an, zum anderen kann er ganz die in dieser Generation wie selbstverständlich genutzten Kommunikationsmedien einsetzen. So reicht der Blick einer Figur aufs Handy, und die Nachricht vom Tod von Nemorinos Oheim und dem daraus folgenden Erbe hat sich in Windeseile verbreitet, es bedarf keiner zusätzlichen Szenen mit Chor. Alle Figuren sind außerdem gleichzeitig im Zimmer, so bekommt Adina persönlich mit, wie sich Nemorino bei der Armee verdingt, um von dem Sold das Geld für den vermeintlichen Liebestrank zu erhalten.