Soeben hat Sergeant Belcore in einer großtuerischen Geste mit seinem Säbel einen Blumenstrauß vom Boden aufgespießt, um ihn der schönen Adina zu überreichen, da will Nemorino es ihm gleichtun. Nur hat er, der mittellose, von allen als Tölpel verschriene, schüchterne junge Mann, der schon seit langem in Adina verliebt ist und sich nur nicht traut, ihr seine Liebe zu gestehen, statt attraktiver Blumen ein paar Kornähren zusammengebunden und hält der jungen Dame nun statt eines Straußes eine Art braune Keule entgegen. Das ist aus der Charakterisierung der Figuren heraus entwickelte Szenenkomik.
Auf ähnliche Weise gelingt es der Regisseurin Roxana Haines für ihre Inszenierung an der Scottish Opera, der als Nebenfigur meist kaum wahrgenommenen Gianetta einen Paradeauftritt zu verschaffen, den man als Zuschauer kaum vergessen wird. Gerade hat die Damenwelt des kleinen Dorfes erfahren, dass Nemorino reich geerbt hat, was seinen Stellenwert in den Augen der Weiblichkeit drastisch erhöht, da schiebt sie sich zwischen ihn und die anderen Frauen, so als wolle sie alle verdecken, sodass Nemorino nur sie zu sehen bekommt. Elena Garrido Madrona machte das mimisch souverän und war auch stimmlich fulminant. Am Ende wird sie sich einen großen Schluck aus der Flasche mit dem vermeintlichen Liebestrank genehmigen, ehe sie dem Frauenhelden Belcore, auf den Adina schließlich zugunsten von Nemorino verzichtet hat, nachläuft.
Doch solche Szenen sind selten. Ansonsten gehen die Figuren meist in gebührendem Abstand umher, die Damen flanieren, die Herren verbeugen sich. Interaktion findet nicht statt. Das mag seinen Grund darin haben, dass die Regisseurin die Handlung ins England der Regencyzeit verlegt hat, einer Zeit, so schreibt sie im Programmheft, in der Etikette großgeschrieben und Abstand gewahrt wurde. Das ist in Coronazeiten natürlich von Vorteil, hat aber den Nachteil, dass alles sehr statisch abläuft, und erklärt nicht, warum etwa Nemorino, der sich in den Augen aller nach dem Genuss des Liebestranks verrückt benimmt, hier lediglich auf einer Bank liegt und vor sich hin trällert.
Dass Regisseure Opernhandlungen in eine andere als im Libretto angegebene Zeit verlegen, ist durchaus üblich; meist rücken sie die Handlung näher an unsere Gegenwart heran, wenn nicht gar in diese selbst, und das ginge beim Liebestrank mühelos. Haines aber verlegt die Handlung nach hinten, ins Jahr 1811, also zwanzig Jahre vor der Uraufführung, und begründet das damit, dass Donizettis Bruder bei Waterloo mitgekämpft habe und Donizetti 1820 nur dadurch vor einem Militäreinsatz bewahrt wurde, weil eine reiche Frau seinen Vertrag, ähnlich wie in seiner späteren Oper Der Liebestrank, zurückgekauft habe. Eine Verlegung der Handlung in das Jahr 1811 erklärt das alles nicht, vor allem hätte sie das auch ins Regiekonzept übernehmen müssen und beispielsweise das Ganze so inszenieren können, als sei Donizetti beim Komponieren die Handlung eben erst eingefallen. Stattdessen begnügt sich Roxana Haines damit, einfach nur die Handlung auf die Bühne zu bringen. Die Regencyzeit entspricht unserem Biedermeier, und so ist die Inszenierung – brav und bieder.