Der tschechische Dirigent Jakub Hrůša hatte nicht viel Zeit, um im Glanze seiner Ernennung zum neuen Chefdirigenten der Bamberger Symphoniker Anfang September zu baden. Schon ein paar Tage später leitete er die Tschechische Philharmonie und Solist Piotr Anderszewski bei Dvořáks Prager Festival in einem Programm mit Szymanowski und Dvořák. Dann ging es nach Australien, wo Konzerte in Sydney und Melbourne den Auftakt zu einer Herbsttournee gaben, die ihn nach Seattle, London, Reykjavik, Genf, Ostrau, Amsterdam, Wien – und nach Bamberg führt, wo er ein Programm mit Suk, Schostakowitsch, Berlioz und Tüür dirigieren wird.
Bevor er Prag verließ, nahm sich Hrůša Zeit für ein ausgedehntes Interview im eleganten Aria Hotel, einer beliebten Unterkunft für reisende Künstler. Er gab sich bedacht, wortgewandt und überschwänglich angesichts seines neuen Postens, den er in der Spielzeit 2016/17 antreten wird. „Ich hätte mir für mein Leben und meine Karriere keine bessere Wendung vorstellen können“, sagte er. „Es fühlt sich absolut richtig an, und ich bin sehr dankbar.“
Hrůša, nun 34, ist ein Sohn Mährens, der sagenumwobenen Heimat Janáčeks zwischen Böhmen und der Slowakei. Er entschied sich als Teenager für eine musikalische Karriere – zu spät, um auf dem Klavier oder den Blasinstrumenten, die er spielte, noch als Solist ausgebildet zu werden, doch letztendlich die richtige Entscheidung. „Ich gehöre nicht zu der Sorte Mensch, die stundenlang an ihrem Klavier sitzen und üben“, sagte er. „Dafür sind meine Interessen einfach zu breitgefächert. Dirigieren schien da eine bessere Option.“
Privatunterricht und ein intensives Selbststudium verhalfen zur Aufnahme an die Prager Akademie der darstellenden Künste, wo er unter anderem von Jiří Bĕlohlávek unterrichtet wurde, der sechs Jahre lang Chefdirigent des BBC Symphony Orchestras war und sich derzeit in seiner zweiten Amtszeit als Chefdirigent und Musikdirektor des Tschechischen Philharmonischen Orchesters befindet. Er erwies sich sowohl als großartiger Lehrer wie auch als Vorbild; Hrůša ist nun ständiger Gastdirigent der Tschechischen Philharmonie, und im Juni beendete er eine siebenjährige Amtszeit als Chefdirigent und Musikdirektor der PKF – Prague Philharmonia, einem Kammerorchester, das Bĕlohlávek in den 1990ern gegründet hatte.
Hrůšas kulturelles Erbe und seine musikalische Ausbildung passen perfekt zu den Bamberger Symphonikern, die ihre historischen Wurzeln bis zu dem Ensemble zurückverfolgen können, das bei der Premiere von Mozarts Don Giovanni 1787 in Prag im Orchestergraben saß. Unter Nazi-Belagerung als Deutsches Philharmonisches Orchester neu zusammengestellt, wurde das Orchester am Ende des Krieges entwurzelt und landete in Bamberg, wo es nicht nur eine neue Heimat fand, in der es mit offenen Armen begrüßt wurde, sondern wo es auch grundlegender Bestandteil der Gemeinschaft wurde. Heute zählt ein ganzes Zehntel der 70.000 Einwohner der Stadt zu den Konzertabonnenten der Symphoniker. Und, staunt Hrůša, „wenn man ein Restaurant betritt, ist das erste, was geäußert wird nicht die Frage nach der Bestellung, sondern 'Das ist der neue Musikdirektor nach Herrn Nott.'“
Als Marcus Rudolf Axt vor zweieinhalb Jahren als Geschäftsführer des Orchesters übernahm, stand es ganz oben auf seiner Liste, einen Ersatz für Jonathan Nott zu finden, der die Bamberger Symphoniker in dieser Spielzeit im 16. Jahr leitet. Um bei der Suche zu helfen, stellte er ein Komitee von 15 Musikern zusammen, das fast 100 Namen überdachte, bevor es sich für ein halbes Dutzend entschied, das Axt dann für Gastdirigate einlud. Hrůša gab sein Debüt mit dem Orchester im vergangenen Dezember mit drei Vorstellungen von Smetanas Má vlast.