Er füllt unser Gespräch mit lebhaften Gesten, so impulsiv und überzeugend, als ob er sein Cello zum Singen bringt. Jean-Guihen Queyras wird das erste mal mit dem Orchestre Métropolitain of Montreal zusammenarbeiten, und er freut sich besonders auf Yannick Nézet-Séguin, den er vor einigen Jahren zum ersten Mal traf. „Yannick hat ein besonderes Charisma und verströmt so viel Wärme, dass sich jeder an sein erstes Treffen mit ihm erinnern kann. Unseres war in Rotterdam, unter etwas unorthodoxen Umständen. Am Tag zuvor hatte ich ziemlich weit entfernt ein Konzert gespielt und verbrachte den Großteil des Tages im Zug und im Flugzeug. Als ich endlich ankam, hatte die Probe bereits begonnen, also lief ich mit meinem Cello auf die Bühne. Da wurden wir das erste Mal einander vorgestellt und Yannick nahm mir sofort jegliche Nervosität mit seiner einzigartigen positiven Einstellung.”
Gäbe es ein einziges Wort, mit dem man Yannick Nézét-Séguin beschreiben müsste, es wäre „positiv”. In unserer Zeit gibt es nur wenige Dirigenten, die ein solches Talent haben, menschliche Gefühle in ihrer Interpretation der Musik herauszubringen. „Yannick ist ein außergewöhnlicher Kammermusiker. Er begleitet nicht einfach nur, ich habe wirklich das Gefühl ein Duett mit ihm zu spielen, fast als ob er am Klavier säße und wir Kammermusik spielten. Zusätzlich zu seiner Gabe, zuzuhören und zu reagieren, kann er das Publikum mithilfe der Musik anregen.” Aber dieses blinde Verstehen darf nicht mit Improvisation verwechselt werden. Tatsächlich wird alles genau vorbereitet, wie Queyras erklärt: „Wir werden uns zwei Tage vor dem Eröffnungskonzert in Montreal treffen, um das Werk zu besprechen und die Wahl der Tempi zu klären.”
1872 komponiert und im folgenden Jahr uraufgeführt, fand Saint-Saëns' Cellokonzert Nr. 1 schnell Einzug in das Repertoire der Solisten und wird noch immer regelmäßig aufgeführt, mit seiner unbeschwerten Grazie für das Publikum ansprechend. „Ein Reiz des Konzerts ist, dass es zwischen den Sätzen keine Pausen gibt: es reißt dich mit, zieht dich in den Sog der Musik hinein. Von einem Satz in den anderen überzugehen ist nicht so schwer, vor allem da das Konzert nicht so lang ist. Es ist nicht annähernd so schwierig wie das Projekt, bei dem ich alle sechs Bach-Suiten ohne Unterbrechung spiele, über mehrere Abende. Es ist körperlich so anstrengend, dass ich jeden Tag eine Massage brauche, um meinen Körper zurück in Form zu bringen.”
Natürlich kommt in einem kürzeren Werk, das mehr zum Genre einer Fantasie gehört, eine andere Form der Verführung zum Einsatz. „Das Werk zeigt eine gewisse Oberflächlichkeit, und ich meine das nicht negativ. Als sich jemand bei Yo-Yo Ma über Saint-Saëns’ ,Mangel an Tiefe’ beschwerte, antwortete er zurecht ,Wissen Sie, nicht alles im Leben muss tiefgründig sein’. Es ist natürlich kein Konzert, bei dem extrem raffinierte Artikulationen mitspielen – wie es zum Beispiel bei den Bach-Suiten der Fall ist – aber das mindert keineswegs dessen Charm, der, ganz klar, absolut fantastisch ist!”
Hören Solisten die Aufnahmen ihrer Kollegen auf der Suche nach Inspiration an? Queyras gibt mehrere Antworten, die sich teilweise widersprechen. Queyras' unangefochtener Glaube an Fortschritt hat ihn von dem lähmenden Spektrum der Beeinflussbarkeit befreit: „In der Vergangenheit habe ich penibel vermieden, andere Versionen zu hören, um nicht zu sehr von den großen Meistern der Vergangenheit beeinflusst zu werden. Heutzutage fühle ich mich wesentlich wohler dabei, und es ist mir keineswegs unangenehm zuzugeben, dass ich unzählige unterschiedliche Aufnahmen anhöre und mir erlaube, von ihnen inspiriert zu werden. Beim Saint-Saëns habe ich dies noch nicht gemacht, aber ich werde bestimmt Yo-Yo Mas Aufnahme anhören, Fourniers und Gendrons, um nur ein paar zu nennen.”
Lässt sich eine französische Schule des Cellospiels wahrnehmen? Nicht mit Sicherheit: viele junge Musiker sehen zu Queyras auf, aber es ist schwer zu verkünden, dass er in die Fußstapfen seiner Vorgänger getreten ist. Damit konfrontiert, legt er sich nicht zwingend fest: „Natürlich gibt es Cellisten, auf die ich immer wieder zurückkomme, aber wenn an so großes Erbe an Aufnahmen hat, wie dies für Cello, darf man niemanden auslassen. Es hängt vom Repertoire ab. Spielt man Prokofiew, Schostakowitsch oder Britten, kommt man nicht an Rostropovich vorbei. Yo-Yo Ma ist noch immer der Meister intelligenter Phrasierungen; Fourniers Spiel ist atemberaubend schön und elegant; Casals fängt Menschlichkeit so gekonnt ein, dass es mich zu Tränen rührt.”