Martin Fröst ist für seine ausdrucksstarke und unkonventionelle Art auf der Bühne bekannt, sein Tanzen und seine einzigartigen Programme. Aber sobald Sie den zweiten Satz seines Mozart-Konzerts hören, wissen Sie, warum der Schwede als einer der herausragendsten Klarinettisten unserer Zeit gilt. Er spielt es mit ganzem Herzen und das hört man in jeder Note des Adagios. Er sprach mit mir über die Seele der Klarinette, seine kommenden Projekte, seine Residency bei den Bamberger Symphonikern nächste Saison und, natürlich, über Mozart.
Fröst wurde in eine musikalische Familie geboren, „Meine Eltern waren Ärzte, aber mein Vater spielte Bratsche, meine Mutter Violine. Mein älterer Bruder spielt Klavier und mein jüngerer Bruder spielt Bratsche. Wir waren regelrecht in Musik getränkt.” Er selbst fing im Alter von fünf Jahren mit Violine an, aber mit acht „hörte er ziemlich schnell auf”, als sein Vater eine Aufnahme von Mozarts Klarinettenkonzert von der Academy of St Martin in the Fields und Jack Brymer, „eine englische Klarinettenlegende”, nachhause brachte. „Ich habe diese Aufnahme so oft angehört und dann brachte mein Vater eine Klarinette und ich begann zu üben. Der zweite Satz des Konzerts… ich bin Mozart sofort verfallen, von Anfang an.”
Ich frage mich, warum die Klarinette ein so faszinierendes Instrument für ihn darstellt. „Ich habe viel darüber nachgedacht, wo ist die Seele der Musik, wo findet man sie? Und natürlich liegt sie in der Klangfarbe eines Instruments, wie der Klang aufgebaut ist, mit all seinen Obertönen. Aber es hat auch mit dem Anfang und Ende der Musik und des Tons zu tun. Und bei der Klarinette, finde ich, ist es der schmale Grat zwischen Stille und Klang: das ist die Seele der Klarinette… es ist eine Art Magie. Als Klarinettist, wenn ich einen Ton aus dem Nichts beginne und den Klang spüre, kann man die Vibrationen hören, bevor er entsteht, man kann es physisch in seinem Körper spüren und es entsteht ein Flüstern im Körper, bevor der Ton beginnt.”
Kommende Saison wird Fröst Portraitkünstler der Bamberger Symphoniker sein. Neben Aaron Coplands Klarinettenkonzert, das er im Januar als Solist spielt, einem Kammermusikkonzert mit Mitgliedern des Orchesters und einem Programm mit dem Quatuor Ébène im Dezember, das Brahms wunderbares Klarinettenquintett enthält, präsentiert der schwedische Klarinettist sein neues Programm Retrotopia, bei dem er als Solist und Dirigent auftritt. Fröst war schon ein paar Mal in Bamberg und freut sich auf die Zusammenarbeit mit diesem „wunderbaren Orchester”, ganz besonders weil es ihm erlaubt, seine Erfahrungen als Klarinettist und Dirigent zu erweitern, bevor er 2019 die Stelle des Chefdirigenten des Schwedischen Kammerorchesters antritt.
„Ich kam von unterschiedlichen Seiten zum Dirigieren, also habe ich viel ausprobiert. Ich habe versucht zu dirigieren und dann zu spielen, ich habe versucht nur zu spielen und überließ das Orchester sich selbst und ich habe sogar etwas getan, das ich ,Conductography’ nenne. Ich gebe Werke mit einer bestimmten Choreographie in Auftrag und das Orchester reagiert auf meine Bewegungen – und das hat ebenfalls funktioniert… Natürlich braucht man sehr gute Ohren und Führungsqualitäten und man muss wissen, wie man Musik formen kann, wie man Klänge formen kann.”
Frösts Programm Genesis ist eine Reise durch die Musikgeschichte, von antiken Gauklertraditionen bis zur zeitgenössischen Musik, die neue Wege der Musikpräsentation auf der Bühne erforscht und kreiert, und sein neuestes Programm, Retrotopia, gräbt noch tiefer in dieses Thema. Es besteht aus Mozarts Ouvertüre zu Le nozze di Figaro, Beethovens Vierter Symphonie und drei neuen Werken für Klarinette und Orchester, Exodus: Departure von Victoria Borisova-Ollas, Nomadia von Martin und seinem jüngeren Bruder Göran Fröst und Emerge von Jesper Nordin, bei dem Bewegungssensoren an der Klarinette angebracht werden und jede Bewegung Frösts in Musik umgewandelt wird.
„Das letzte Stück sieht ein Gestrument vor, es nennt sich ,Space in the Air’ und beinhaltet Musik-DNA. Wenn ich die Luft berühre, wird es zu Klang, erzeugt durch eine Infrarotkamera. Ich kann in der Luft mit meinen Fingern spielen, wozu ich einen Choreographen für die Bewegungen brauche. Und auch das ist eine Art der Zukunft der Musik. Zu Beginn des Stückes sage ich ,Where does the music go?’ (,Wohin entschwindet die Musik’) Kann ich sie fühlen? Geht sie in die Zukunft? Kann ich sie berühren? Und dann führe ich buchstäblich meine Hand in die Luft zwischen mir und dem Publikum und plötzlich entsteht ein Klang. Es ist also ein Gespräch zwischen mir, dem Gestrument, dem Raum und dem Orchester hinter mir. Es ist eigentlich ziemlich aufregend.”
Der Begriff Retrotopia beschreibt die retrospektive Praxis des Zurückblickens. „Es ist heutzutage ein sehr präsentes und wichtiges Thema, weil wir es in der Politik und der Religion und Kultur erkennen können. Wir blicken zurück, wir sind nostalgisch und sagen, dass wir früher ein besseres Leben hatten, was vermutlich nicht stimmt. In der Politik kann man es leicht sehen, zum Beispiel mit ,Make America great again’. Wir drehen unser Gesicht der Vergangenheit zu und kehren der Zukunft den Rücken. Wir fürchten uns davor, was passiert, nicht nur mit unserem Planeten, sondern auch mit unserer Gesellschaft… Ich denke, das ist es, was dieses Projekt initiierte. Alles geschieht durch Musik, ich will auf der Bühne also nicht über Politik sprechen. Alles hängt von der Musik ab.”