Tsuyoshi Tsutsumi ist sowohl Solocellist, Kammermusiker, Professor, Wettbewerbsjuror und Festivaldirektor als auch Präsident der Suntory Hall und der Japanischen Musikervereinigung und ehemaliger Präsident der Toho Gakuen Musikschule in Tokio. Ich frage ihn, in welcher dieser vielen verschiedenen Rollen er sich am wohlsten fühlt.
„Ich habe fast 50 Jahre lang in den Vereinigten Staaten und Kanada gelebt, dort gelehrt, Konzerte gegeben und so weiter. Mein Professor an der Universität in Indiana war der großartige Cellist und Mentor Janos Starker. Als ich die Vereinigten Staaten verließ, um zurück nach Japan zu gehen, sagte er zu mir: ,Tsuyoshi, vergiss nicht, dass du Cellist bist.’ Ich glaube, das sagt mir alles. Ja, ich mache viele verschiedene Sachen, doch was immer ich tue geschieht aus der Perspektive eines Cellisten. Ich bin nicht mehr jung – ganz und gar nicht jung – aber ich kann noch immer Konzerte geben; ich genieße das Konzertleben und ich will auftreten.“
Als das Konzerthaus Suntory Hall 1986 erbaut wurde, war Tsutsumi bereits ein etablierter Cellist. Für ihn geht diese Geschichte weit zurück, bis zu der Zeit, als Japan im späten 19. Jahrhundert wieder für den Handel mit dem Westen geöffnet wurde. „Das japanische Volk entschied, dass wir wirklich von anderen Ländern lernen müssen. Zu dieser Zeit empfanden unsere Regierungschefs, dass Musik ebenfalls etwas war, wodurch man die Zivilisation all dieser großen, westlichen Länder verstehen lernen konnte. Wir müssen alles darüber lernen und sie uns zu eigen machen. Die Leute glaubten, Musik sei eines der großen Bildungsthemen, also nicht etwas, das man genoss, sondern etwas, zu dem man aufschaute. Als Herr Saji beschloss, Suntory Hall zu bauen, sah er Konzerthäuser aus aller Welt an. Eines der Dinge, die ihn wirklich beeindruckt haben, war, dass ein Konzerthaus nicht nur ein Platz ist, an dem man Musik genießt, sondern auch ein Ort, an dem Menschen miteinander sozialen Kontakt pflegen.“
Keizo Saji, Suntorys musikliebender Präsident und Tsutsumis Schwiegervater, erhielt vielerlei Ratschläge bezüglich der Art und Weise, wie die Architektur eines Konzerthauses aussehen sollte. Unglücklicherweise waren alle Meinungen unterschiedlich und viele Berater widersprachen einander, also beschloss er, die großen Konzerthäuser der Vereinigten Staaten und Europas zu besuchen und sich selbst ein Bild zu machen. An erster Stelle seiner Reise stand Wien, wo bereits eine Beziehung zu den Wiener Philharmonikern bestand (die bis heute regelmäßige Besucher der Suntory Hall sind – nicht einmal COVID-19 verhinderte im letzten Jahr einen Besuch, und im November ist ein weiterer geplant). Nachdem er das rechteckige „Schuhschachtel“-Prinzip des Musikvereins gesehen hatte, stand als nächstes Berlin auf Sajis Reiseplan. Dort hieß ihn Herbert von Karajan willkommen, der stark für den „Weinberg“-Stil plädierte, in dem die Künstler auf der Bühne sich wahrhaftig vom Publikum umgeben fühlen. Karajans Wertung fiel schließlich am stärksten ins Gewicht, und das akustische Design von Yasuhisa Toyota von Nagata Acoustics erwies sich als äußerst erfolgreich (Toyota hat seitdem die Akustik der Walt Disney Hall in Los Angeles und der Elbphilharmonie in Hamburg entworfen und war zudem Designpartner der Philharmonie de Paris).
Der Weinberg-Stil, erklärt Tsutsumi, hat einen sehr direkten Einfluss auf das Bühnengefühl des Künstlers. „Jeder Publikumsplatz ist nicht so weit von der Bühne entfernt. Der Schuhkarton hat eine großartige Akustik, aber wenn jemand sehr weit hinten sitzt – natürlich versuche ich, dass mein Klang bis ganz zum Hausende kommt, aber trotzdem – ich habe dann ein Gefühl von Distanz. Mit dem Weinberg ist sogar die hinterste Reihe der obersten Loge nicht so weit weg, sodass ich wirklich das Gefühl habe, wir musizieren gemeinsam. Und der Klang, den ich produziere, kommt gut zurück, was auch sehr wichtig ist: In manchen Konzertsälen spiele ich, der Ton verklingt, und das war’s. In Suntory Hall kommt der Klang schön zurück.“ Als Cellist ist Tsutsumi daran gewöhnt, dass sein hölzernes Instrument ein organisches, lebendiges Wesen ist, und er empfindet Suntory Hall, größtenteils aus Holz gebaut, genauso. Es sei, als habe der Saal im Laufe der Jahre all der wunderbaren Musik gelauscht und antworte nun darauf.
Suntory Hall und Osakas The Symphony Hall wurden im Abstand von nur wenigen Jahren voneinander im Schwall von Japans Wirtschaftswachstum nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut, und bei beiden hatte Karajan seine Finger im Spiel. Tsutsumi schreibt ihm zu, eine Verbreitung von Konzertsälen in ganz Japan angestoßen und eine ganze Generation auf den Weg gebracht zu haben, Musik sowohl zu genießen als auch zu verehren. Das macht Suntory Hall zu einer der erfolgreicheren Initiativen unternehmerischer Gesellschaftsverantwortung, die je von einer Getränkefirma unternommen wurde. Die Firma sieht den Saal noch immer als ein Projekt sozialer Verantwortung („Der Gesellschaft etwas zurückgeben“ ist als ein Wert in Suntorys offizieller Vision aufgeführt), und die Institution nutzt verschiedene Pfade, um Einfluss außerhalb der räumlichen Grenzen des Gebäudes zu vergrößern. Das beginnt mit dem Abonnementkonzert für Kinder, das es bereits seit 20 Jahren gibt. Darüber hinaus gibt es Bildungsprojekte wie die Opernakademie und die Kammermusikakademie, die sich in ihrem zwölften Jahr befindet. Für dieses Jahr, das 35. Jubiläum des Hauses, ist eine konzertante Aufführung von La traviata geplant („wir sind einfach kein Opernhaus“), die nach der Premiere in Tokio in Konzertsälen im Rest des Landes auf Tour gehen soll. Wie viele andere Organisationen im Kunst- und Kultursektor gab COVID-19 für Suntory Hall den Anstoß, sich genauer mit den Möglichkeiten digitaler Auftritte auseinanderzusetzen, und es fiel der Entschluss, einen eigenen Videokanal einzurichten: „Digital Suntory Hall“ läuft seit dem 14. April und wird Konzerte, Virtual Reality-Führungen mit Blick hinter die Kulissen sowie weiteres Videomaterial zeigen. Zusätzlich zum digitalen Angebot freut sich Tsutsumi auf Kollaborationen mit anderen Konzerthäusern, sowohl in Japan als auch in benachbarten Ländern wie Korea, China, Taiwan und Singapur sowie Australien und Neuseeland.