Semiramide – La Signora Regale. Unter dem einfachen Titel Anna Bonitatibus' vor über zwei Jahren veröffentlichten CD mit ausgewählten Opernmosaiken auf Grundlage der Antik-Story um die babylonische Königin Semiramis verbirgt sich ein umso vielfältigeres Eintauchen in die differente Vertonung dieses Stoffes der bedeutendsten Opernkomponisten des 18.-19. Jahrhunderts. Mit ihr erlebt der Zuhörer also über einhundert Jahre europäische Musikgeschichte, tourt von Venedig, Wien, London über Paris schließlich sogar nach Mexiko und lernt dabei den Mezzo der Solistin kennen, der auch de facto den Kastraten den Rang ablaufen sollte - ironischerweise natürlich durch die bekannteste Umsetzung Rossinis, der ja von einem solchen Schicksal verschont geblieben war. Und da bei weitem nicht alle Semiramide-Nummern der Literatur es in die damalige Auswahl schafften, ersetzte in der neuaufgelegten Drei-Konzerte-Tour mit Vaclav Luks' Collegium 1704 das Semiramide-Ballett Glucks unter konzertökonomischem Verlust Traettas sowie Meyerbeers Beispielen die Vinci-Arien, die es ja mittlerweile durch die countertenoralen Kollegen gottseidank wieder zu Bekanntheit gebracht haben.
Der reise-realistischen Logistik entsprechend, untermalte Anna Bonitatibus den Wandel durch die Opernzentren mit einem Kleider-Wechsel-Dich-Spiel, das amüsanter- und vor allem glücklicherweise Einfluss auf die interpretatorische Darbietung hatte. Im crème-beigen Outfit eröffnete sie die Reise chronologisch mit Caldaras und Händels Semiramiden, in denen sich ihr schöner Mezzosopran mit den klein und exakt gefertigten Bravura-Sechszehnteln noch unfrei hinter dem Orchester zu verstecken schien. Das Collegium 1704 hatte mit einleitender Sinfonia und den Arien dagegen sofort den extrem hohen Maßstab des Abends gelegt, als es mit silbrig-scharfen, umherflirrenden Streichern in punktierten Allegri, melancholisch-träumerischen Mittelteilen oder blanker, spritziger Barock-Raserei mit markant-tatzenden Bässen sowie wärme-nebelnden Bratschen die leider spärlich besuchte Essener Philharmonie bei ihrem Debüt für sich einnehmen konnte. Dynamische und phrasierungstechnische Details, die ihre Spielfreude genauso ausdrückten wie ihr musikdramatisches Feuer, führte das Ensemble in der gehorsamen, übereinstimmenden Akuratesse aus wie sie Vaclav Luks mit seiner emotionalen und kenntnisreichen Dirigiergestik vorgab.
Noch bevor Anna Bonitatibus auf das optische Rot wechselte, steigerte sich schon mit Jommellis Rezitativ und Arie der Semiramide riconosciuta ihr stimmliches Temperament, das dem umfangreicheren emotionalen Hin und Her der Vertonung eher entsprach. Dem theatralisch geladenen und zugleich sinnlichen Rezitativ folgend hauchte sie mit artikulatorisch gedehnten und unvibrierten Notierungen ihre Verzweiflungseinwürfe, während sie mit sukzessiverer Inbrunst ihrer Wut Ausdruck schenken konnte. Mit größerer Überzeugung kamen auch die Einsätze, wurden sie vormals einerseits im etwas zögerlichen Ansatz, andererseits im abfallenden piano verschluckt. Gleichsam sollte aber das bewusste piano im rollenspielenden, gefühligen Moment der menschlichen, kleinen großen Königin im Ensemble mit dem Orchester Bonitatibus' Stärke und Interpretationskennung sein.