Für sein zweites Dirigat bei den Berliner Philharmonikern in dieser Spielzeit hatte sich Paavo Järvi drei unbekannte Werke bekannter Komponisten ausgesucht.
Zu Beginn erklang Weberns Bearbeitung von Bachs Ricercare aus dem Musikalischen Opfer. Es ist für das Hören nicht unwichtig zu wissen, dass Webern seinem Lehrer Schönberg gegenüber von Bachs Ricercar, das ist eine instrumentale Motette, die den Vorläufer der Fuge bildet, als einem „abstractum“ spricht, das er „in eine akustisch mögliche Realität“ verwandeln wollte. Bei dieser Umgestaltung befremdet weniger das groß besetzte Symphonieorchester als das sehr eigene Trennverfahren der Motive. Die absteigende Tonleiter des „königlichen“ Themas fasst Webern als einzelne Sekundmotive auf, die er auf die Instrumente verteilt. Järvi ließ das etwas brav musizieren, und präparierte nicht etwa Seufzerfiguren heraus, was möglich gewesen wäre. Er fasste Weberns Bach-Bearbeitung als ein Mosaik auf und betonte das Punktuelle dieser Partitur. Wenn es am Ende dann doch etwas voluminös wurde, dann folgte er Weberns Absicht, die 16 Orchesterstimmen im letzten Takt im C-Dur-Dreiklang zusammenkommen zu lassen. Dennoch wäre mehr Freiheit im Rubato wünschenswert gewesen, die Webern doch vorgeschrieben hat. Nach wie vor wird Webern noch zu häufig in die serielle Zwangsjacke gepresst, und so von allem Wienerischen im Ton losgelöst, auf das der Komponist selbst so großen Wert gelegt hat und die seine Musik wesentlich lebendiger klingen lässt.
Statt Hanna-Elisabeth Müller übernahm Mojca Erdmann die Solostimme in Alban Bergs Sieben frühe Lieder. Berg vertonte die Texte zunächst als Klavierlieder und instrumentierte diese erst um 1928 für großes Orchester. Dass dieser Orchesterklang in jedem Lied wechselte, war sehr gut zu hören, doch ein Zusammenhang der Lieder wurde leider nicht wahrnehmbar, obwohl ihre Aufeinanderfolge von der Einsamkeit in der Natur („Nacht“) zum „lieblichen Gesang“ im ersten Liebeserwachen des „Schilfliedes“, dann zum ersten Kuss („Traumgekrönt“) in die Zweisamkeit („Im Zimmer“) und zum sinnlichem Rausch der „Liebesode“ schließlich in die „blaue Ewigkeit“ des gemeinsamen Lebensglücks in den „Sommertagen“ führt. Doch In ihrer Vereinzelung war Wunderschönes zu vernehmen: Das für mich beste Lied der Sammlung, „Traumgekrönt“, gelang den Musikern am besten, auch weil es durchweg in pp-Bereich gehalten war und sich die schillernden, Bergs späteren „expressionistischen Ton“ vorwegnehmenden Klänge fein mit Erdmann schlanker Stimme verbanden. Sorgfältig ließ Jarvi die Lieder in ihren verschiedenen Stilschichten, so dass die schwärmerische „Nachtigall“ ihre Nähe zu Schumann behielt, die „Liebesode“ dagegen schon den schweren Duft von Bergs Vier Liedern ausströmte.