Die Geschichte und Architektur der Dresdner Frauenkirche beeindrucken immer wieder, ihr prunkvoll-barocker Glanz prägt Stadtbild und Konzertort, deren Eindrücke sich zu einer besonderen Atmosphäre zusammenfügen. Noch festlicher strahlt sie, wenn Sir John Eliot Gardiners Ensembles, die English Baroque Soloists und der Monteverdi Choir, im Inneren Aufstellung genommen haben, um im Rahmen der Musikfestspiele vier Bachkantaten anlässlich des nächsten Dirigentengeburtstags innerhalb eines angesetzten Zwölf-Kantaten-Marathons in Europa erschallen zu lassen.
Man mag sich vorstellen, wie Bach selbst gerne nach ihrer Fertigstellung 1743 im Kirchenraum musiziert, womöglich seine h-Moll-Messe hier präsentiert hätte, anstatt in Leipzig zu bleiben. Hatte er dort so seine Probleme, entspringt dem Eröffnungschor der Kantate BWV12 das später parodierte Mess-Crucifixus, ein „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen". Schon die ersten vier Wörter, die nach der einleitend aussagekräftigen Sinfonia mit Michael Niesemanns Solooboe einzeln auf die Stimmgruppen des Chores verteilt werden, gingen hier bestens auf und trugen – ebenfalls in vierfacher Effektstärke – die klagende Entfaltung des Schmerzes in unerbittlicher Reinheit, Betonung und Dynamik durch die Knochen des gebannt stillen Auditoriums. Zauberte im steten Kampf von Leid zum Sieg der erlösenden Ewigkeitsfreude, die alle Kantaten gemein haben und unter Gardiners bachialen Händen immer ein intravenöses Mehr an Überzeugung und Lebendigkeit erfahren, der kurze schnellere Einschub mit acht Sängern die so leicht phrasierte erdrückende Schwere weg, übernahm diese Wandlung und thematische Essenz Countertenor Reginald Mobley.
In seiner gütlich schwebenden Stimme vereinte er diese so nachfühlbar anrührig, dass mit der fokussierenden Sprache-Ton-Deckung sein Parolibieten gegenüber Niesemanns unerschütterlicher Klangschönheit kurz außer Kraft gesetzt schien. Wie eigentlich alle anderen Gedanken in diesem Moment. Im Fortgang des leidlichen Abstreifens intonierten Konzertmeisterin Kati Debretzeni und die 2. Violinen-Stimmführerin, die diesmal mit Alison Bury besetzt war (welch schöne Geste, war sie doch langjährige Konzertmeisterin, die die EBS auf der legendären Pilgrimage leitete), ein auflösendes Concerto, in das Sam Pantcheff mit seinem ebensolchen erfrischenden Bass und passender Phrasierung einstieg. In famoser Deutlichkeit und überzeugend sprudelnder Gewandtheit wusch Tenor Gareth Treseder die „Pein“ schließlich mit gewichtigem Trio aus Fagott, Kontrabass und Orgel noch beiseite, in das Neil Broughs vorzügliche Solotrompete mit Choralfragmenten von „Jesu, meine Freude“ hineingrätschte.
Posaunte der Monteverdi Choir den gläubigen Sinn in seiner unnachahmlich tiefen Choralfertigkeit heraus, bot er seinen Glanz im stark beschwingten Aufrüttelungsrhythmus des Eingangs der Kantate BWV70 auf, die Gardiner an den Anfang platzierte. Nachvollziehbar, um neben dem flotten Aufwecken eine „Wachet (auf)!“-Klammer zum finalen Werk zu stecken. Flankiert von Oboe und Trompete verschlungen die mit Bewegungs- und Betonungsenergie geladenen Stimmen darin ihre zur Schau gestellte „allzeitige Bereitschaft“, die mit der besonders benötigten Diktion klar und gelenk herüberkam. Darüber hinaus weckte Gardiner jede hörbare Nuance bei Aufführenden wie bei Aufnehmenden mit eingebauten dynamischen und artikulatorischen Aufmerksamkeiten.