Nach Pygmalions Die Wege Bachs in letzter Saison ging die Auseinandersetzung von Raphaël Pichon mit Johann Sebastian Bach weiter. Jetzt also in leichter Abänderung zur detaillierteren Reise zu Bachs verzweigten Ahnen und Vorbildern mit Bach selbst und – unter der Gliederungsüberschrift „Zeit und Ewigkeit“ – natürlich seinen Kantaten als täglich Brot im Mittelpunkt. Begleitet von lediglich einem Werk einer familiären Inspirationsquelle, diesmal wieder der größten darunter: Johann Christoph. Dergestalt konzipiert und mit dem Fakt im Hinterkopf, dass Pichon bereits früher ein ganzes Kantatenkonvolut in tatsächlich lebenslanger Hinwendung aufführte, fungierte sie einerseits als Nachweis vorheriger Beschäftigung, andererseits als Zielannäherung zur eigenen Wegkomplettierung. Eben als Erfüllung eines Kontinuums von „Zeit und Ewigkeit“. An diesem Abend im Wiener Konzerthaus.
Unter damals bereits gespielten Kantaten befand sich BWV25, die im jetzigen Tourprogramm zugegeben zu einer weiteren Dopplung – zuvor BWV4 und BWV106 – führte, als Pichon mit BWV110, BWV66, BWV80 und dem Weihnachts-Sanctus von 1724 (später der h-Moll-Messe) einen Zusammenschnitt der zeitigen und zeitlosen Festhöhepunkte im protestantischen Kirchenjahr erstellte. Statt diesen – wie ursprünglich als ewige Spule dramaturgisch verständlich geplant – von Weihnachten bis Weihnachten mit BWV25 dabei freilich als vorgezogenes Osterkontraststück (statt zum 14. Sonntag nach Trinitatis) chronologisch zu begehen, veränderte der Dirigent den Ablauf in mehrerlei Hinsicht. Damit muss man bei Pichon immer rechnen. Genauso wie mit schierer Theatralik in der Interpretation, mit der er Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe zu einem handfesten Dramma per musica weltlichen Bezeichnungscharakters machte, nachdem nun Johann Christophs Motette Mit Weinen hebt sich's an den Beginn eines appellgeladenen Konzerts markiert hatte. Recht ungewöhnlich für Pygmalion, fand der Chor darin noch keine gemeinsam exakten Taktanfänge, doch waren sie zusammen mit dann erwarteter und mitnehmender Pracht – instrumental manchmal die folgenden Solisten überdeckend – in ästhetischer wie deutlich expressiver Hingabestrenge in der Kantate vorhanden.
Mutet diese im Coro wie Bachs unglaublich erhebende Motette BWV118 an, gelangen Pichon am Abend wirklich die musikalischen Bögen und Linien in Sachen Rhythmus und damit „Zeit“ überragend. In Unser Mund sei voll Lachens setzte sich auf den ersten Teil Bachs Vierter Orchesterouvertüre in schnellem Grundtempo ein rasendes Double, dessen Sprint der Pygmalion-Chor unter mitreißender Einhaltung technischer Deklamations- und Diktionswucht knackig hinlegte. Und mit der ausgiebigen Freude so ins Ziel traf wie mit dem genialen Klangbild des Ensembles aus packender, gleichzeitig sauber-wohliger Wärme.