Herbert Blomstedt möchte das Orchester, das er dirigiert, und das Publikum, das seiner Aufführung zuhört, glücklich machen wie er stets betont. Damit ihm dies gelingt, vertraut er einem einfachen, aber arbeitsintensiven Rezept. Er überlässt sich nicht seiner durch Erfahrung gesättigten Spontaneität, um häufig dirigierte Werke quasi improvisatorisch neu klingen zu lassen, sondern studiert noch mit 97 Jahren die ihm seit Jahrzehnten bekannten Partituren gründlich, um vorbereitet vor das Orchester zu treten. Für sein jüngstes Konzert mit den Bamberger Symphonikern wählte er Beethovens Zweite und Brahms’ Vierte Symphonie aus.
Beethovens Zweite ließ er in aller Pracht beginnen und die Musik von vergangenen Zeit erzählen. Die fein musizierten Girlanden kulminierten in einem d-Moll-Dreiklang, der mit Ernst und Würde eine Zäsur setzte. Danach rissen Blomstedt und das Orchester die Tür zu einer neuen Musik auf, die in einem regelrechten Sturm auch die sorgfältig intonierten Motive letztlich aus der Musik zu vertreiben hatte. Mit dem ihm eigenen Witz baute Blomstedt die Spannung in der Durchführung auf, die in eine doppelt „falsche“ Reprise führte, was die Tonart und das Thema anbelangt, und mit einer geschwungenen Geste gelangte er durch eine Tirade so überraschend wie zielsicher in die richtige.
Den zweiten Satz ließ er mit wehmütigen Tönen vortragen. Allein das Scherzo fiel in diesem Konzept etwas zurück, wurde zu zurückgenommen gespielt. Das Finale war ein wahrer Parforceritt. Wild und grell knallte das Hauptmotiv in den Saal, um der Symphonie nun noch den allerletzten aristokratischen Schmuck auszutreiben. Überall trieb es seinen Schabernack, bis in der Coda die Töne der kommenden Musik Beethovens verkündet werden. Durch große Gebärden und gewaltsame Eingriffe gelang es schließlich, das die Hetzjagd bislang antreibende Motiv so zu zähmen, dass es sich am Ende tatsächlich in den Freudentanz einreihte.
Das war alles so durchdacht und lebendig musiziert, dass es sich direkt auf die hochkonzentrierte Zuhörerschaft übertrug. Die Frage, ob Beethoven „historisch informiert“ zu spielen wäre oder nicht, stellte sich nicht. Blomstedts sehr einfache Antwort auf diese Frage dürfte einfach lauten: Lasst die Töne lebendig sprechen und gebt jedem noch so kleinen Motiv den ihm zugedachten Platz im Werk.