Herbert Blomstedt möchte das Orchester, das er dirigiert, und das Publikum, das seiner Aufführung zuhört, glücklich machen wie er stets betont. Damit ihm dies gelingt, vertraut er einem einfachen, aber arbeitsintensiven Rezept. Er überlässt sich nicht seiner durch Erfahrung gesättigten Spontaneität, um häufig dirigierte Werke quasi improvisatorisch neu klingen zu lassen, sondern studiert noch mit 97 Jahren die ihm seit Jahrzehnten bekannten Partituren gründlich, um vorbereitet vor das Orchester zu treten. Für sein jüngstes Konzert mit den Bamberger Symphonikern wählte er Beethovens Zweite und Brahms’ Vierte Symphonie aus.

Herbert Blomstedt © Marian Lenhard | Bamberger Symphoniker
Herbert Blomstedt
© Marian Lenhard | Bamberger Symphoniker

Beethovens Zweite ließ er in aller Pracht beginnen und die Musik von vergangenen Zeit erzählen. Die fein musizierten Girlanden kulminierten in einem d-Moll-Dreiklang, der mit Ernst und Würde eine Zäsur setzte. Danach rissen Blomstedt und das Orchester die Tür zu einer neuen Musik auf, die in einem regelrechten Sturm auch die sorgfältig intonierten Motive letztlich aus der Musik zu vertreiben hatte. Mit dem ihm eigenen Witz baute Blomstedt die Spannung in der Durchführung auf, die in eine doppelt „falsche“ Reprise führte, was die Tonart und das Thema anbelangt, und mit einer geschwungenen Geste gelangte er durch eine Tirade so überraschend wie zielsicher in die richtige.

Loading image...
Herbert Blomstedt
© Marian Lenhard | Bamberger Symphoniker

Den zweiten Satz ließ er mit wehmütigen Tönen vortragen. Allein das Scherzo fiel in diesem Konzept etwas zurück, wurde zu zurückgenommen gespielt. Das Finale war ein wahrer Parforceritt. Wild und grell knallte das Hauptmotiv in den Saal, um der Symphonie nun noch den allerletzten aristokratischen Schmuck auszutreiben. Überall trieb es seinen Schabernack, bis in der Coda die Töne der kommenden Musik Beethovens verkündet werden. Durch große Gebärden und gewaltsame Eingriffe gelang es schließlich, das die Hetzjagd bislang antreibende Motiv so zu zähmen, dass es sich am Ende tatsächlich in den Freudentanz einreihte.

Das war alles so durchdacht und lebendig musiziert, dass es sich direkt auf die hochkonzentrierte Zuhörerschaft übertrug. Die Frage, ob Beethoven „historisch informiert“ zu spielen wäre oder nicht, stellte sich nicht. Blomstedts sehr einfache Antwort auf diese Frage dürfte einfach lauten: Lasst die Töne lebendig sprechen und gebt jedem noch so kleinen Motiv den ihm zugedachten Platz im Werk.

Loading image...
Herbert Blomstedt
© Marian Lenhard | Bamberger Symphoniker

Mit der Vierten Symphonie von Brahms erklang kein Werk, das Türen öffnet, sondern sehr vehement einen Schlussstrich zieht. Hört man den Kopfsatz zumeist, mit Eduard Hanslick gesprochen, als würde man von „schrecklich geistreichen Leuten durchgeprügelt“ werden, so gelang es Blomstedt, der Gedankenarbeit all ihre Anstrengung zu nehmen. Selbst da, wo im Kern der Durchführung wirklich streng kanonisch gearbeitet wurde, ließ Blomstedt Schönklang zu, so dass die einzig freie Stimme, das Horn, „marcato“ hervortreten konnte. Im langsamen Satz kamen auch nicht nur herbstliche, schwere Töne zu Gehör, die ihm so oft übergehängt werden und im dritten wurde es geradezu plebejisch. Mit allem Grimm, den Blomstedt als bärbeißigen Humor hervorkehrte, erklang ein hoffmanneskes Labyrinth als Suche nach der Reprise in dieser aus dem Tritt geratenen Polka, die vergeblich bleiben musste.

Loading image...
Herbert Blomstedt
© Marian Lenhard | Bamberger Symphoniker

Ganz groß wurde es in der Aufführung des Finales. Noch nie habe ich gehört, dass die ersten Variationen dem Satz wie als Introduktion vorangestellt wurden, bis das Thema endlich im Bass liegt. Im Fortgang des Satzes ließ er das Thema immer mehr zurücktreten, bis er eine absteigende Tonleiter ankündigend hervortreten ließ, um die Fäden wieder zusammenzubinden. Zu Recht ließ Blomstedt alles auf diesen Punkt zusteuern. Von nun bildete es keinen Ostinat mehr, sondern zerbrach am Ende in seine beiden nun völlig unabhängig voneinander klingenden Hälften und nahm schließlich eine völlig neue Gestalt an. Ohne Triumph – regelrecht trotzig – beschloss die Aufführung das Werk.

*****