Man kann Jubiläen auf verschiedene Arten feiern. Wie dies in Verbier geschah, das muss schlicht als sensationell bezeichnet werden. Das Galakonzert zum 30. Geburtstag des Festivals in der Salle des Combins dauerte (mit Pausen) ganze vier Stunden und widerspiegelte den Charakter der Institution auf das Trefflichste.
Im ersten Teil des Konzerts standen die 10 Préludes, Op.23 von Sergej Rachmaninow auf dem Programm. Dies allein ist, im Jahr des 150. Geburtstags des Komponisten, nichts Aussergewöhnliches. Die Sensation besteht vielmehr darin, dass die zehn Stücke von zehn verschiedenen Pianisten gespielt wurden. Und zwar nicht von Herrn Hinz und Frau Kunz, sondern von Künstlernamen, die dem Kenner das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Virtuos spielt da Jewgeni Kissin die Nummer zwei, verklärt Mikhail Pletnev die Nummer vier, etwas trotzig Yefim Bronfman die berühmte Nummer fünf, etüdenartig Daniil Trifonov die Nummer neun und verträumt Yuja Wang die abschliessende Nummer zehn. Dass dazwischen auch jüngere und noch nicht so berühmte Pianisten wie der Japaner Mao Fujita oder der Franzose Alexandre Kantorow mitwirken, ist sehr sympathisch.
1994 ist das Verbier Festival vom schwedischen Konzertmanager Martin T:son Engstroem gegründet worden, der ihm seither als Direktor vorsteht. In seiner Anfangszeit hatte dieser sowohl auf der politischen als auch auf der künstlerischen Ebene mit etlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Aber als dann Mischa Maisky, Jewgeni Kissin und andere Stars regelmässig kamen, habe dies – so erinnert sich Engstroem – einen richtigen Schneeballeffekt ausgelöst. Was er in seiner Bescheidenheit nicht sagt, ist die Tatsache, dass die meisten dieser Musiker auch seinetwegen kommen. Er ist gewissermassen der Vater dieser Künstlerfamilie. In den vergangenen 30 Jahren ist das Festival kräftig gewachsen. Gab es im ersten Jahr nur 17 Konzerte bei einem Budget von 1.7 Mio. Franken, so sind es 2023 sechzig Konzerte bei einem Budget von gut 12 Mio. Franken. Inzwischen zählt das Verbier Festival (zusammen mit dem Gstaad Menuhin Festival und hinter dem Lucerne Festival) zu den drei grossen Klassikfestivals der Schweiz und besitzt künstlerisch eine internationale Ausstrahlung.
Personell zeigte sich dies auch im zweiten Teil des Galakonzerts, wo die Streicher im Rampenlicht standen. Zu hören waren Bachs Goldberg-Variationen in einer Bearbeitung von Dmitri Sitkovetsky für Streichtrio, die von den mitwirkenden Musikerinnen und Musikern für verschiedene Ad-hoc-Besetzungen nochmals bearbeitet wurde. So ging es also nach der eröffnenden Aria, die Bronfman am Klavier vortrug, los mit Duos, Trios, Quartetten und Quintetten, an denen sich insgesamt vierzig Musiker und Musikerinnen beteiligten. Man staunte nicht wenig, wenn da eine der dreissig Variationen von der Violinistin Lisa Batiashvili, dem Bratscher Lawrence Power und Klaus Mäkelä am Cello vorgetragen wurde. Noch mehr Überraschung bot eine andere Variation mit der Geigerin Janine Jansen, dem Klarinettisten Martin Fröst (sic!) und dem Cellisten Gautier Capuçon. Die absolute Pointe ereignete sich in der Schlussvariation, dem Quodlibet: Während die „Kraut und Rüben”-Melodie in der Trompete und die sächsische Volksliedweise „Ich bin so lang nicht bei dir g’west” in der Klarinette ertönten, begleiteten die übrigen Mitwirkenden, aufgeteilt in vier Kleinorchester, mit einem deftigen Sound.
Ganz auf der populären Schiene kam der dritte Konzertteil daher. Zum Totlachen war das berühmte Katzenduett von Rossini, wo Thomas Hampson und Bryn Terfel um die Wette miauten. Es folgte eine halbszenische Bearbeitung von Camille Saint-Saëns’ Carnaval des animaux, bei dem die exotischen Tiere des Originals durch im Wallis ansässige Tiere wie Kuh, Wolf, Ziege oder Elefant (ja, jener von Hannibal) ersetzt wurden. Schliesslich durfte auch noch das Verbier Festival Chamber Orchestra, die Vorzeigeformation der drei edukativen Festival-Ensembles, mitwirken. Den phänomenalen Schlusspunkt setzte hier Leonhard Bernsteins Candid-Ouvertüre, bei der Mäkelä wieder in die Dirigentenrolle schlüpfte und einige der Stars sich unter die jugendlichen Orchestermitglieder schlichen – an die hintersten Pulte selbstverständlich.
Wie geht es weiter mit dem Verbier Festival? Immerhin ist Engstroem dieser Tage siebzig Jahre alt geworden. An der diesjährigen Eröffnung des Festivals hat Stiftungsratspräsident Peter Brabeck überraschend bekanntgegeben, dass Blythe Teh Engstroem, die Ehefrau von Martin Engstroem, ab sofort als künstlerische Co-Direktorin eingesetzt wird. Die amerikanische Bratschistin hat schon seit vielen Jahren im Hintergrund mitgearbeitet und bekommt nun eine offizielle Funktion. Wie weit mit dieser Ernennung die Nachfolge Engstroems präjudiziert wird, ist von aussen gesehen unklar. Auf jeden Fall wird es schwierig sein, den charismatischen Direktor mit einer Persönlichkeit zu ersetzen, die sein Werk weiterführen kann.