Wer schon einmal über eine altehrwürdige Brücke geschritten ist, hat ihn erblickt: Johannes Nepomuk, der als Patron der Überwasserquerungen Schutz vor den Gefahren des darunterliegenden Elements bieten soll. Die Statuen zu seiner Ehren, vor allem nach der Seligsprechung des Prager Generalvikars aus dem 14. Jahrhundert im Jahre 1722, wurden in der Barockzeit überall errichtet, besonders im habsburgischen Reich unter den Kaisern Leopold I., Joseph I. und Karl VI. Laut der ältesten Tageszeitung der Welt, dem Wiener Diarium, avancierte Nepomuk, einst in Böhmen als „Bauernopfer“ im Konflikt zwischen König Wenzel IV., Sohn des berüchtigten Kaisers Karl IV., und Erzbischof Jenstein in die Moldau geworfen, zum „Heiligen schlechthin“. Es entstand ein Nepomukkult, der zur Heiligerklärung 1729 groß zelebriert wurde, als ein ordentlicher Schwung neuer Säulen und Kapellen in den Reichsgebieten Österreichs, Böhmens und Mährens, Schlesiens, Sachsens und überall sonst noch gebaut worden waren.
Il Gardellino
© Wouter Maeckelberghe
Zu einer dieser Feierlichkeiten in der Sankt Jakobskirche in der mährischen Hauptstadt Brünn wurde eine Nepomuk-Messe komponiert, deren Autorenschaft anonym ist, vormals und bis jetzt noch dem damaligen Wiener Vizekapellmeister Antonio Caldara zugerechnet wurde. Dieser hatte 1729 eine gleichnamige Messe für die Zeremonie in Prag verfasst. Laut Zinkenist Bruce Dickey, der die anonyme Partitur und andere Handschriften im Mährischen Nationalarchiv 2018 einsah und 2021 musikalisch in historisch-informierter Praxis der Öffentlichkeit vorstellte, vermutet nun jedoch vorsichtig, dass sie von Matheus Rusmann stammen könnte, befindet sich das Notenmaterial in der Sammlung dieses ehemaligen Kapellmeisters der Brünner Kirche. Sie stand – innerhalb des Festivals Antwerpen „Barokke Influencers“ – auf dem AMUZ-Saisoneröffnungsprogramm von Seltenheits- und Neuigkeitswert, erst recht im Bereich der Cornettoforschung, gespielt von Il Gardellino unter Leitung Peter Van Heyghens zusammen mit dem Drei-Mann-Team Dickeys Concerto Palatino für die Posaunensektion. Dazu kam ein De profundis des völlig unbekannten Jakob Wachter, ein Offertorium pro feria 2ta Hebdomade des nach Rusmann wirkenden Kirchenmusikchefs Peregrino Gravani und ein Miserere des vor Caldara verstorbenen Wiener Hofkapellmeisters Marc'Antonio Ziani.
Gemäß der Liturgie teilten Dickey und Van Heyghen die anonyme Nepomuk-Messe, gesetzt für vier Vokalstimmen, zwei Violinen, Cornetto, Alt- und Tenorposaune, drei Clarinen und eine Tromba, Pauken sowie Basso aus Violone und Orgel (abendlich um Theorbe verstärkt), in die entsprechenden Sequenzen auf, um die anderen – totenmesslichen – Werke dazwischen zu streuen. Damit gesangstechnisch die Soli- und Tutti-Elemente der Missa realisiert werden konnten, wurden zwei gegenüber aufgestellte One-Voice-per-Part-Chöre gebildet, die mit Griet de Geyter, Coline Dutilleul, Thomas Hobbs, André Morsch (Soli und Chor 1), Alison Lau, Estelle Lucas, Leander van Gijsegem und Pieter Stas (Chor 2) allesamt stimmlich hervorragend arrangiert und edel befüllt waren. Zwar hielten sie sich dynamisch eher bedeckt, doch fanden sie über den Verlauf immer gefestigter und selbstbewusster ihren Platz der warmen, farbigen und mit Würde eingebrachten Festlichkeit, die sich natürlich deckte mit der stets weicheren, demütig-sachlichen Nüchternheit Van Heyghens interpretatorischen Herangehens.
Herausheben möchte ich vokal dennoch Coline Dutilleul, deren eleganter, beweglicher Mezzo mit besonders stilsicherer, phrasierter Dehnung die umso nötigere Artikulationswirkung entfaltete, Thomas Hobbs mit der präsentesten Abgeklärtheit, Alison Lau mit feinstrahlender, flexibler Qualität, genauso wie bei der lieblich, auch funkelnden Griet de Geyter, und Pieter Stas mit seiner trocken-sonoren Passgenauigkeit. Wie bei den Chören, agierte Il Gardellino als Einheit ohne Fehl und Tadel mit sensibel konzertierenden Geigen, dezentem Continuo, dem traditionell wienerisch-böhmischen Feiergeschirr der erhaben stimmigen, charakteristischen Trompeten und Pauken sowie dem Palatinischen Posaunentrio mit Dickeys absolut sauberem und ansatzpräzisem Cornettospiel.
In kontemplativer Be- und Andacht ergossen sich zudem die Einsprenkler Wachters und Gravanis. Den gelungensten, weil vokal eindeutig aufblühenden Effekt habenden, Eindruck hinterließ allerdings Zianis Miserere (zwei Bratschen hinzu), in dem auch Morschs Lage und Stärke am besten aufging. Der „Gloria“-Texttrakt erschien vor beschriebenem Hintergrund geradezu als ein Kontrastblock von ausgezeichneter – endlich spritzigerer – und brückenbauender Eloquenz.
****1
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