Nach Lohengrin stand mit Parsifal eine weitere Wagner-Oper auf dem Programm der laufenden Saison der Bayerischen Staatsoper, ebenfalls mit der Wiederaufnahme einer vergangenen Inszenierung. Der aus Beirut stammende Pierre Audi konnte bei seiner Regiearbeit auf umfangreiche Erfahrung sowohl mit Wagner-Inszenierungen (Ring-Tetralogie an De National Opera) als auch mit zeitgenössischen Musiktheaterwerken und Uraufführungen von Hans Werner Henze, Wolfgang Rihm und Louis Andriessen zurückgreifen.
Diese Erfahrung kam ihm offenbar auch in der Zusammenarbeit mit Georg Baselitz zugute, der das Bühnenbild entworfen hat. So gelang mit dem Parsifal – im Gegensatz zum Lohengrin – ein Gesamtkunstwerk, das die Wirkung des düster wabernden Bühnenweihfestspiels in drei Aufzügen beeindruckend unterstrich, und zwar nicht durch Verstärkung, sondern durch Verdichtung und durch die Entdeckung einer zunächst bedrohlichen, zunehmend aber beruhigenden Langsamkeit der Erzählung. Diskrete Dynamik verlieh der Inszenierung die dramaturgisch höchst geschickt und kunstvoll abgestimmte Lichtregie (Urs Schönebaum).
Auch im Parsifal sind die Bühnenaufbauten äußerst spärlich. Im ersten Aufzug ein paar lose im Raum stehende pechschwarze Baumsilhouetten, das Gerippe eines großen Tiers, in das sich Kundry gekauert hat. Georg Zeppenfeld als Gurnemanz steht an einem dürftig flackernden Lagerfeuer und beginnt die Geschichte vom ersten Gralskönig Titurel und seinem Sohn Amfortas zu erzählen. Wie üblich artikulierte Zeppenfeld prägnant und moduliert seinen metallischen Bass biegsam wie ein Theaterschauspieler. In der Höhe führte der Obertonreichtum, der seiner Tiefe den kalten Schmelz verleiht, gelegentlich dazu, dass der Grundton kaum mehr erkennbar war. Umso bedauerlicher, dass Constantin Trinks das Staatsorchester gerade bei den langen Monologen Gurnemanz‘ im ersten und dritten Aufzug nicht genug zurücknahm und so passagenweise die Sänger und besonders Zeppenfeld nicht mehr durchdringen konnten.
Ausgerechnet der Liedspezialist Christian Gerhaher als Amfortas bewies im ersten Aufzug neben der grandiosen Irene Roberts als Kundry das größte stimmliche Volumen und profitierte zudem von der schier unerschöpflichen Klangvielfalt seiner perfekt geformten Stimme. Die eindringlichen Erbarmens-Rufe, die an die letzten Worten des Erlösers am Kreuz gemahnen, jagten einem Schauer über den Rücken und ließen die anschließenden chorischen Mitleidsmotive umso eindringlicher und berückender zu einem der emotionalen Höhepunkte des Abends werden. Christoph Heil, der seit Beginn der Spielzeit 2023/24 den Bayerischen Staatsopernchor leitet, hatte die Sänger sensibel in die musikalische Gesamtkonzeption eingefügt. Lediglich der Frauenchor konnte ein ums andere Mal die Spannung nicht halten und sank hörbar ab.
Georg Baselitz stellt in den Mittelpunkt des zweiten Aufzugs eine Stoffmauer als stilisierte Burg, die Klingsors Reich repräsentiert. Nach Klingsors misslungenem Versuch, Parsifal den heilenden Speer zu entwenden – überzeugend dargestellt durch Jochen Schmeckenbecher –, stürzt diese im Zeitlupentempo in sich zusammen, genau wie am Ende des ersten Aktes die Bäume des den heiligen Gral hütenden Waldes. Zerstörung allenthalben. Aber nicht als gewaltige Apokalypse, sondern als schleichender Prozess, der durch die Aneinanderreihung zwischenmenschlicher Konflikte voranschleicht und nicht als übernatürlicher Meteoriteneinschlag unweigerlich über die Protagonisten hereinbricht. Das ist schließlich die geniale Heilserzählung des Parsifal, in der Amfortas durch das schlichte Mitleid des Toren Parsifal und eben nicht durch den heiligen Gral erlöst wird. „Der eigentliche Sinn des individuellen Mitleids liegt letztlich im Selbstheil der Gesellschaft“, so Pierre Audi, der Bezüge zur großen mystischen Dichtung des sufistischen Vogelgesprächs von Faridussin Attar sieht. Nach langer beschwerlichen Suche nach dem idealen König erkennen die Vögel, dass sie selbst der gesuchte König sind.
Der zweite Aufzug bietet neben dem wirkungsvollen Bühnenbild auch reichlich provokante, jedoch ebenfalls stimmige Kostümentwürfe von Florence von Gerkan, welche die Blumenmädchen in hässlichen Nacktgewändern um Parsifals Gunst buhlen lässt. Damit schließt Gerkan den Kreis zu den sich anlässlich der Gralsfeier im ersten Aufzug entblößenden Gralsrittern, die ebenfalls unansehnliche Nacktkostüme tragen. Allzu menschlich eben, als Persiflage bigotter Spiritualität. Klingsors Zaubermädchen jedenfalls brillieren mit betörend charmantem Spiel- und stimmlich untadeliger Sangesfreude. Brillant auch die amerikanische Mezzosopranistin Irene Roberts, die mit der Kundry ihr Hausdebüt an der Bayerischen Staatsoper gibt. Und was für ein großartiges Debüt dieser ausdrucksstarken Klangästhetin mit dem dunkel-mystischen Timbre, wie gemacht für die enigmatische Kundry, die zwischen magischen und realen Welten pendelt. Clay Hilley, der im ersten Aufzug noch Anlaufschwierigkeiten hatte, bot im zweiten Aufzug Roberts in den dramatischen Dialogen mit Kundry einen stimmlich und darstellerisch ebenbürtigen Bühnenpartner als geradliniger Parsifal, ohne je banal zu werden.
Im dritten Aufzug lässt Baselitz die Bäume von der Decke hängen, und verbildlicht damit eindrucksvoll die unaufhörlich dräuende Schwerkraft des Schicksals. Doch Dank Parsifals Erlösungsakt triumphiert am Ende die Menschlichkeit und Christian Gerhaher darf noch einmal das Publikum mitreißen in einem packenden Finale, in dem Pierre Audi den Chor wie in einem Endzeit-Movie in dunklen Kostümen langsam auf die Bühne schreiten lässt, bevor das Orchester die Erlösung musikalisch vollendet. Das Orchester spielte an diesem Abend gewohnt mitreißend und klangschön, wenn auch im dritten Aufzug gegen Ende des Wagnerschen Instrumental-Marathons die Konzentration hie und da nachließ. Dies trübte jedoch nicht den denkwürdigen Gesamteindruck dieses gelungenen Opernabends.
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