Die Bayerische Staatsoper scheint eine gewisse Tradition mit avantgardistischen Lohengrin-Inszenierungen zu haben, die dem Ideal des Gesamtkunstwerks, wie Wagner es im Sinne hatte, nicht immer zuträglich sind. Wie schon Richard Jones in seiner Inszenierung von 2009 lenkt auch Kornél Mundruczó mit seiner Regiearbeit eher vom durchdeklinierten Gehalt des Wagner’schen Meisterwerks ab, als ihn zu entwickeln. Mundruczó, der Schauspiel und Filmregie an der Universität für Theater- und Filmkunst in Budapest studierte und mit Filmen wie Johanna (2005) und Evolution (2021) beachtliche Erfolge erzielte, verwässert mehr als zu verstärken.

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Rachel Willis-Sørensen (Elsa) und Benjamin Bruns (Lohengrin)
© Wilfried Hösl

Es bedarf vermutlich auch gar keiner Verstärkung des akribisch durchkomponierten Zusammenspiels von dicht gewebter Musik, des differenziert gesetzten Librettos und der klar geäußerten Vorstellungen des Komponisten, wie das Lohengrin-Epos in Bildsprache übersetzt werden solle. Aber Mundruczós Relativierung der kontrastierenden Spannungsfelder, die Wagner meisterhaft entwickelt, ist bedauerlich. Das Vermeiden von Klischees als ein Leitmotiv dieser Inszenierung ist zwar eine interessante Idee,  wenn sie aber dazu führt, dass die Grenzen zwischen männlich-roher Dominanz und weiblich-vielschichtiger Klugheit, zwischen Aggression und Versöhnung, zwischen Entschlossenheit und Zweifel – unabhängig vom Geschlecht der jeweiligen Protagonisten – eher verwischen, als sie im Sinne Richard Wagners herauszuarbeiten und das Publikum damit herauszufordern, dann mag das zwar als cineastische Bildfolge taugen, nicht aber als spannende Neuinterpretation eines der gewaltigsten Gesamtkunstwerke der Opernliteratur.

Immerhin fügen sich Bühnenbild (Monika Pormale), Kostüme (Anna Axer Fijalkowska) und Dramaturgie (Kata Wéber und Malte Krasting) nahtlos in die Regie-Idee ein: Wenig farbliche Kontraste, extrem reduzierte und gleichförmige Bühnenaufbauten mit ein paar Felsen, Farnen und zwei Bäumen rechts und links im ersten Akt, einer stilisierten Burg mit Tor und Balkon im zweiten und einigen Gräsern im dritten Akt, und schließlich einem Meteoriteneinschlag in Zeitlupe ganz am Ende. Die Idee hingegen, zur Hochzeitsszene rote Bänder aus den Fenstern und vom Balkon zu werfen und durch die Protagonisten symmetrisch anordnen zu lassen, ist ein gelungener ästhetischer Lichtblick. Die Kostüme bestehen im Wesentlichen aus khakifarbenen engen Jeans mit labberigen Pullis. Wie vormals die Jogginganzüge bei Richard Jones macht diese Kleidung es den Sängerinnen und Sängern nicht gerade leicht, Bühnenpräsenz und Spannung aufzubauen. Die gesamtvisuelle Wirkung des Regiekonzepts manifestiert damit paradoxerweise unmittelbar Klischees von modernem Uniformismus und spießiger Gleichmacherei. Wie eine vegane Burger-Alternative, bei der man sich das Original zurückwünscht.

Benjamin Bruns (Lohengrin) und Rachel Willis-Sørensen (Elsa) © Wilfried Hösl
Benjamin Bruns (Lohengrin) und Rachel Willis-Sørensen (Elsa)
© Wilfried Hösl

Dass die Aufführung dennoch herrlich kurzweilig gelang, lag an der musikalischen Darbietung: An der großartigen Leistung der Sängerinnen und Sänger sowohl im kompakten und stimmgewaltigen Chor – einstudiert von Christoph Heil – als auch an den durchwegs erstklassigen Solistinnen und Solisten. Gleich zu Beginn triumphierte Ryan Speedo Green als Heinrich der Vogler mit seinem durchdringend stählernen Bass, flankiert von Andrè Schuen als Heerrufer des Königs. Eine glückliche Paarung, der Bühnentitan Green und der vom Liedgesang perfekt geschliffene und sensibel aussteuernde Klangästhet Schuen.

Die US-amerikanische Sopranistin Rachel Willis-Sørensen ging gänzlich auf in der Rolle der Elsa von Brabant; stimmlich anfangs zwar etwas kehlig, sang sie sich schnell frei und überzeugte vor allem in den sängerischen Dialogen mit Ortrud im zweiten Akt. Anja Kampe wiederum als Ortrud lieferte die dramatischste Rolle mit galvanischen Gefühlseruptionen bis zur Grenze des Wohlklangs in der finalen Abschiedsszene. Martin Gantner war ein bejubelter Friedrich von Telramund, anfangs stimmlich nicht vollends präsent, ab dem zweiten Akt jedoch souverän und überzeugend. Und schließlich Benjamin Bruns als Lohengrin: inszeniert als Anti-Held, aber dennoch heldenhaft gesungen, mit klarer Diktion und fast perfekter Intonation, fein austariert und vielschichtig, sowohl klanglich als auch schauspielerisch in der Verkörperung des sensiblen Ritters. Rundum erstklassig.

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Andrè Schuen (Heerrufer) und Ryan Speedo Green (Heinrich der Vogler)
© Wilfried Hösl

Einmalig allerdings war das Orchester unter der Leitung von Sebastian Weigle, der den Musiker*innen nicht nur präzise Einsätze, sondern immer wieder auch ein motivierendes Lächeln zuwarf. Und das motivierte diese zu wahren Höchstleistungen. Man weiß gar nicht, wo man beginnen soll. Die Streicher fein und rein, gefühlvoll und dramatisch, die Bläser unfassbar präzise und sauber, aus unterschiedlichen Logen Fanfaren in den Zuschauerraum werfend, klar wie ein Gebirgsbach. Gänsehautmomente beim berühmten Vorspiel zum dritten Akt. Ohrwurm mit Referenzqualität, selten so transparent und spannungsreich gehört wie an diesem Abend. Das Bayerische Staatsorchester ließ keinen Zweifel, dass es während der Petrenko-Ära zu einem der Top Opernorchester der Welt avanciert ist. So verwunderte es nicht, dass es beim Schlussapplaus das Publikum genau in dem Moment von ihren Sitzen zog, als Weigle auf die Bühne kam und das Orchester mit frenetischem Jubel gefeiert wurde.

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