Wenn Yannick Nézet-Séguin am Pult der Berliner Philharmoniker steht, ist Klangpracht garantiert. Das mag bei einer Aufführung des Deutschen Requiems, mit der er im Oktober 2017 im wahrsten Sinne des Wortes glänzte, etwas einseitig ausfallen, weil die dunklen Momente der Partitur unterbelichtet bleiben. Bei seinem französisch-russischen Abend im Februar 2019 kamen fast durchweg die vorzüglichen Aspekte seiner Auffassung zu Gehör. Seine drei Konzerte waren auch Generalproben zu der ersten gemeinsamen Tournee, und es scheint alles auf eine gelungene Zusammenarbeit hinzudeuten.
Eröffnet wurde der Abend mit Ravels Menuet antique, das der Komponist selbst zunächst 1895 für Klavier komponierte, dann 1929 zwar voluminös, aber doch feinsinnig orchestrierte. Im paradoxen Titel – Ravel wusste doch, dass es in der Antike keine Menuette gab – verriet er die Raffinesse des kleinen Stückes, die in der Wucht, mit der das Stück vorgetragen wurde, etwas verloren gehen musste. Der erste Akkord knirschte noch passend zu diesem Maskenspiel. Doch das differenzierte das Spiel, in dem Ravel z. B. oft im Zweier- anstatt im Dreiertakt phrasierte, ging dabei ziemlich unter.
Alle diese Probleme waren wie weggeblasen, als Debussys La mer und Prokofjews Fünfte Symphonie erklangen.
Nézet-Séguin nahm La mer schon vor gut zehn Jahren mit dem Orchestre Métropolitain auf. Seine analytische Kraft und die präzise Artikulation zeichneten auch diese Darbietung aus. Mit den Berliner Philharmonikern musizierte er Debussys Stück wie im Untertitel vorgeschrieben als symphonische Skizze und ließ sich nicht dazu hinreißen, bei aller Opulenz der Instrumentation die Sorgfalt der Komposition von Wind und Meer treiben zu lassen. La mer ist kein Tongemälde im verwaschen impressionistischen Sinne, sondern messerscharf komponiert. Das ganze Stück wurde als spannendes Geflecht anfangs vorbereiteter und später wieder aufgenommener Themen aufgeführt. So entstand kein ineinander fließendes Misch-Masch aus Motiven und Klangfarben, das dann mit dem Titel gerechtfertigt worden wäre, sondern ein in sich stimmiges, im Zusammenhang satzübergreifendes symphonisches Werk, in dem die Themen ihre Geschichte erzählen, in einen Dialog miteinander treten. Die Motive kommen und verschwinden oder nehmen neue Gestalt an. Wenn die Entwicklung der drei Sätze im Blechbläser-Choral kulminiert, bremste Nézet-Séguin das Orchester zuvor leicht aus, damit der Choral danach umso majestätischer präsentiert werden konnte. Sehr überzeugend entschied sich Nézet-Séguin dazu, das Orchester nicht schroff zwischen Spalt- und Mischklang zu differenzieren, sondern es mal in diesem, mal in jenem Klang musizieren zu lassen, ganz so wie es sich Debussy wohl gewünscht haben dürfte. Selbst im Fortissimo war der Klang edel, nie so dunkel wie bei Barenboim, der gerade dieses Stück in letzter Zeit so oft großartig mit der Staatskapelle zu dirigieren vermochte.