Märchen oder kein Märchen, das ist in jeder Inszenierung von Antonín Dvořaks Rusalka die zentrale Frage. Beschäftigt man sich ein bisschen mit der tschechischen Mythologie muss man schnell erkennen, dass der Wassermann bei weitem keine gütige Vaterfigur ist und dass auch die Nixen durchaus ambivalente Figuren sind. Seit der Erfindung der Tiefenpsychologie weiß man außerdem auch, dass in jedem Märchen ein – bisweilen sogar grausamer – verborgener Kern zu finden ist.
Und so verwundert es nicht weiter, dass auch Amélie Niermeyer jener Fraktion angehört, deren Vertreter an der Geschichte der Nixe, die ihre Stimme opfert, um in der menschlichen Welt die Liebe zu erfahren, so gar nichts Romantisches finden kann. Gefunden hat die Regisseurin allerdings auch wenige eigene Ideen für die Inszenierung am Theater an der Wien; die zentralen Elemente – etwa der unter Wasser stehende Bühnenboden, die häusliche Gewalt im Reich des Wassermannes und die latent bedrohliche Atmosphäre am Hof des Prinzen – funktionieren zwar, man kennt sie allerdings bereits deutlich durchdachter um- und eingesetzt aus der Inszenierung von Martin Kušej an der Bayerischen Staatsoper. Sämtliche andere, tatsächlich neue, Ansätze der Regisseurin beschränken sich leider hauptsächlich auf billige Effekthascherei: der Prinz ist offenbar exhibitionistisch veranlagt, trägt nicht einmal bei seiner eigenen Hochzeitsfeier ein Hemd und muss in einer Szene sogar splitterfasernackt auf der Bühne herumstapfen; die rauchende und in einen Tüllrock gehüllte Hexe Ježibaba entjungfert Rusalka (unterstützt von einer plakativen Blutschmiererei in einer projizierten Videosequenz) und schlitzt sich später im dritten Akt die Pulsadern auf, ohne Schäden davonzutragen. Zusätzlich schlägt oder bedroht jeder jeden und ständig steht, sitzt oder geht irgendwer der Protagonisten vermeintlich bedeutungsvoll herum. Das alles geschieht in einem Mittelding aus Hallenbad und Nobelhütte, das praktischerweise gefließt ist – so kann man das Blut immerhin leicht entfernen.
Großer (und neben dem bestens disponierten Arnold Schönberg Chor einziger) Lichtblick des Abends war Günther Groissböck als Wassermann. Auch wenn er mittlerweile hauptsächlich im deutschen Repertoire unterwegs ist, kann man diese Partie durchaus als seine Paraderolle bezeichnen. Und so fließt die Stimme bruchlos durch die Partie, fängt ein breites Spektrum an Klangfarben ein und changiert dadurch in Sekundenschnelle zwischen den sanftmütig warmen und unversöhnlich kalten Facetten der Figur. In ein nicht gerade vorteilhaftes Kostüm und Styling gesteckt hauchte er an diesem Abend als einziger seiner Figur Leben und Glaubwürdigkeit ein – sowohl in vokaler als auch in darstellerischer Hinsicht.