ENFRDEES
The classical music website

(Un)Lucky Stars: Freitag, der Dreizehnte feiert Schönberg im Reaktor

Von , 29 April 2024

Was besorgt man für den Komponisten, der alles geschaffen – und auch irgendwie kaputt gemacht – hat? Arnold Schönbergs Einfluss auf die klassische Musik und ihre Geschichte kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. In Wien ist er besonders präsent, sei es als Stimme in den Köpfen der Kompositionsstudenten, durch Musikaufführungen, die in den Konzertsälen der Stadt erklingen, oder im grauen Center, das seine Forschung und sein Vermächtnis fördert. 

Magdalena Anna Hofmann, Christine Schäfer und das Klangforum Wien
© Werner Kmetitsch

Anlässlich des 150. Geburtstags Schönbergs hat das MusikTheater an der Wien beschlossen, die ganze Komplexität von Schönbergs gewaltigem, unbestreitbarem und immer noch komplexem Erbe auszupacken und eine neue Produktion mit dem Titel Freitag, der Dreizehnte zu kreieren, die in den drei Sälen des atmosphärischen Reaktors, früher bekannt als Grand Etablissement Gschwandner, spielt.

Christine Schäfer und das Klangforum Wien
© Werner Kmetitsch

Nach dem Entwurf von Johannes Erath und Michael Boder und mit der Dramaturgie von Anna Melcher und Christian Schröder wurden Schönbergs verschiedene musikalische Idiome dekonstruiert, arrangiert und neu verwoben, sogar mit einem Hauch von Bach und Strauss, sowohl in Live- als auch in aufgezeichneten Fassungen. Von den eröffnenden Gurre-Liedern, die von einem Honky-Tonk-Piano begleitet werden, über eine Aufnahme von Verklärte Nacht, die dann vom Arnold Schoenberg Chor a cappella übernommen wird, bis hin zu mehreren Versionen der Strauss/Schönberg-Walzer-Arrangements – der Lagunenwalzer wird in einem Raum abgespielt, während das Klangforum Wien den Kaiserwalzer live im großen Saal aufführt – wird das Publikum von Raum zu Raum, von Szene zu Szene geleitet.

Magdalena Anna Hofmann, Christine Schäfer und das Klangforum Wien
© Werner Kmetitsch

Video, Kostüme und interaktives Theater werden in einer ästhetisch reichhaltigen, nicht sequentiellen Reihe von fragmentierten Erzählungen kombiniert, die eher expressionistische Gefühle auf der Bühne verkörpern als eine Geschichte an sich. Der emotionale Verlauf wechselt nahtlos vom Grotesken zum Spielerischen, Fröhlichen, Persönlichen, Ängstlichen und Traurigen in einer Reihe von traumartigen Sequenzen. Ein Trauerkranz zur Tonalität, ein Klaviersarg, die Entlarvung des verklemmten Bürgertums, farbenfrohe Verkörperungen der grotesken Spielkarten, die Schönberg selbst entworfen hat, juwelenbesetzte Diven, die gespenstische Rundung eines Kratermondes und wehmütige Pierrots sind Teil des visuellen Spektrums, sei es in überlebensgroßen Kostümen (Noёlle Blancpain), als Bühnenfiguren oder projiziert in stimmungsvollen Videoclips (Bibi Abel).

Christine Schäfer
© Werner Kmetitsch

Es gibt noch eine weitere Figur, die in diesem Stück implizit präsent ist: Michael Boder, der vor der Premiere unerwartet verstorben ist und dem diese Produktion gewidmet ist. Anna Sushon, seit Jahren an der Neuen Oper Wien als Musikdirektorin hinter den Kulissen tätig, hat seinen Taktstock mit Ruhe und Klarheit übernommen und führt das Klangforum Wien nahtlos durch ein gefährliches musikalisches Pasticcio, das alles wie ein Kinderspiel erscheinen lässt. 

Klangforum Wien und Anna Sushon
© Werner Kmetitsch

Ähnlich verhält es sich mit dem Gesangsaufgebot. Magdalena Anna Hofmann und Christine Schäfer sind beide wundervoll, geben große Teile von Werken wieder, die sie innig kennen, Erwartung respektive Pierrot Lunaire, die miteinander vermischt und zwischen Häppchen von Geburtstagstorte platziert werden. Der Arnold Schoenberg Chor machte seinem Namensvetter alle Ehre und setzte mit Auszügen aus Die glückliche Hand, Moses und Aron und Ein Überlebender aus Warschau musikalische Höhepunkte. highlights.

Magdalena Anna Hofmann, Arnold Schoenberg Chor und Statisten des MusikTheaters an der Wien
© Werner Kmetitsch

Abgesehen von Schönbergs gut dokumentierter Phobie vor der Zahl 13, hätte er sich keine bessere Hommage wünschen können. Und das Publikum in Wien hätte sich keine bessere Melange aus geburtstäglichem Schrecken, Schrulligkeit und Musikalität wünschen können, keinen angemesseneren Knäuel ästhetischer Reflexionen über die bedeutendste Figur der klassischen musikalischen Moderne. 

****1
Über unsere Stern-Bewertung
Veranstaltung anzeigen
“vom Grotesken zum Spielerischen... in einer Reihe von traumartigen Sequenzen”
Rezensierte Veranstaltung: Reaktor, Wien, am 28 April 2024
Programm beinhaltet:
Schönberg, Gurre- Lieder (excerpts)
Schönberg, Verklärte Nacht, Op.4 (excerpts)
Schönberg, Kaiserwalzer, Op.437 (excerpts)
Schönberg, Erwartung (excerpts)
Schönberg, Pierrot lunaire (excerpts)
Schönberg, Die glückliche Hand (excerpts)
Schönberg, Moses und Aron (excerpts)
Schönberg, A Survivor from Warsaw, for narrator, male chorus and orchestra, Op.46
Johannes Erath, Regie, Licht
Herbert Murauer, Bühnenbild
Noëlle Blancpain, Kostüme
Bibi Abel, Video
Anna Melcher, Dramaturgie
Christian Schröder, Dramaturgie
MusikTheater an der Wien
Anna Sushon, Musikalische Leitung
Klangforum Wien
Arnold Schoenberg Chor
Erwin Ortner, Chorleitung
Christine Schäfer, Sopran
Magdalena Anna Hofmann, Sopran
Blutige Angelegenheit: Francesco Gasparinis Ambleto am MTadW
***11
Grigorian und Akhmetshina glänzen in säkularer Norma
****1
Ringelspiel mit Anfassen: Das Spitzentuch der Königin am MTadW
**111
Rasantes Gelage: Roméo et Juliette am MusikTheater an der Wien
***11
The Best of All Possible Satires: Candide erstrahlt in Wien
*****
Märchen X Traumnovelle: Schwanda am MusikTheater an der Wien
****1
Weitere Kritiken...