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Grigorian und Akhmetshina glänzen in säkularer Norma am Theater an der Wien

Von , 20 Februar 2025

Dank pandemiebedingter Verzögerungen und Terminverschiebungen feiern die Wiener Staatsoper und das MusikTheater an der Wien diese Woche Kopf an Kopf mit ihren Neuinszenierungen von Norma Premiere... und das kleinere Haus nimmt kein Blatt vor den Mund. Bellinis Oper, ein Eckpfeiler des Belcanto-Repertoires, verlangt von seinen Darstellern nicht nur stimmliche Virtuosität und Ausdauer, sondern auch eine tiefe emotionale Tiefe. Angeführt von der strahlenden Sopranistin Asmik Grigorian in der Titelrolle ist die Aufführung sowohl stimmlich als auch dramaturgisch überwältigend und erfüllt diese Anforderungen in jeder Hinsicht. Vasily Barkhatovs Inszenierung unter der Leitung des Dirigenten Francesco Lanzillotta bietet eine stimmige Interpretation von Bellinis tragischem Meisterwerk, die traditionelle Dynamik mit moderner Sensibilität verbindet.

Norma am Theater an der Wien
© Monika Rittershaus

Barkhatov verlegt den traditionellen druidischen Schauplatz in die 1940er Jahre, wenn man nach Olga Shaishmelashvilis Kostümen urteilt. Der Abend beginnt mit offenem Vorhang, zehn Jahre zuvor, in einer handwerklichen Manufaktur für Statuen, die später beschlagnahmt wird. Statuen werden umgestoßen und in Urin getauft, Arbeiter werden verprügelt und die Ouvertüre beginnt. Zehn Jahre später werden in der gleichen Fabrik Büsten eines Diktators hergestellt, und die Rebellion liegt in der Luft. Das elegante Bühnenbild von Zinovy Margolin ermöglicht nahtlose Übergänge zwischen den Szenen und nutzt enge Räume – darunter einen Korridor vor einer Gemeinschaftsunterkunft –, um die thematische Intensität der Inszenierung zu verstärken. Die Gegenüberstellung von Normas Privatquartier und der gemeinsam genutzten Fabriketage spiegelt die Dualität von persönlicher und öffentlicher Sphäre ebenso wider wie die Spannung zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Asmik Grigorian (Norma), Tareq Nazmi (Oroveso) und Ensemble
© Monika Rittershaus

Nicht alles macht in dieser Lesart Sinn; sich über die feindlichen Linien hinweg zu verlieben, was Norma zur Selbstverbrennung zwingt, oder zwei Kinder in einer Gemeinschaftsunterkunft geheim zu halten, entzieht sich der Plausibilität, aber Barkhatovs Entscheidung, die traditionellen sakralen Elemente der Oper zugunsten eines eher weltlichen, aber ebenso bedrückenden Schauplatzes zu umgehen, ist eine interessante Neukontextualisierung. Außerdem sind wir bei Belcanto nicht für die Handlung hier, sondern für das Singen.

Asmik Grigorian (Norma) und Victoria Leshkevich (Clothilde)
© Monika Rittershaus

Das Herzstück dieser Produktion ist die fesselnde Darstellung der Norma durch Asmik Grigorian. Grigorian, die für ihre Interpretationen von Rollen wie Salome oder Cio-Cio-San bekannt ist, wagt sich auf Belcanto- Terrain und ist sowohl kühn als auch triumphierend, wenn auch nicht 100%ig idiomatisch. Abgesehen von einigen erzwungenen Tönen beherrschte sie stimmlich die brutal schwierige Rolle, aber dramatisch glänzte sie am stärksten, wenn sie Norma mit feuriger Intensität erfüllte. Ihre Fähigkeit, die technischen Anforderungen von „Casta diva“ zu meistern und ihr gleichzeitig eine tiefe emotionale Resonanz zu verleihen, war ein Zeugnis ihres Könnens. Zwischen beißendem Sarkasmus, Verletzlichkeit und explosiver Leidenschaft schwankend, war sie besonders effektiv in ihren Interaktionen mit Adalgisa und Pollione und füllte die Lücken in der gelegentlich unbeholfenen Personenregie überzeugend aus.

Asmik Grigorian (Norma) und Aigul Akhmetshina (Adalgisa)
© Monika Rittershaus

Die Adalgisa von Aigul Akhmetshina war ebenso überzeugend. Mit ihrem üppigen Mezzosopran, der so viel Schwung hat, dass er direkt in das zentrale Nervensystem eindringt und das gesamte System in Schwingung versetzt, würde ich ihr gerne beim Singen des Telefonbuchs zuhören. Bei ihrem Rollendebüt brachte sie ein Instrument von seltener Schönheit, atemberaubende stimmliche Beweglichkeit, Modulation über alle Register und emotionale Nuancen mit und stahl damit den ersten Akt. Obwohl sie in große Fußstapfen tritt - die Rolle wurde für die berühmte Sopranistin Giulia Grisi konzipiert - ist Akhmetshina einfach die beste Adalgisa, die ich je gehört habe. Ihre Duette mit Grigorian, insbesondere „Mira o Norma“, waren die Höhepunkte des Abends. Ihre Stimmen verschmolzen auf wunderbare Weise miteinander und vermittelten die komplexe Verbindung zwischen den beiden Figuren.

Freddie De Tommasos Darstellung des Pollione zeichnete sich durch einen agilen Tenor aus, der zu Beginn etwas zu offensiv war, im weiteren Verlauf der Aufführung aber zu einem raffinierten Gleichgewicht fand. Besonders bewegend waren seine Dialoge mit Grigorian, sei es beim Austausch einer Zigarette während „In mia mano alfin tu sei“ oder in der Schlusszene, wenn er Normas Selbstmordversuch durch Verbrennen vereitelt.

Asmik Grigorian (Norma) und Freddie De Tommaso (Pollione)
© Monika Rittershaus

Tareq Nazmi war ein klangvoller Oroveso, Victoria Leshkevichs treu sorgende Clotilde war sowohl mitfühlend als auch klar, und Gustavo Quaresma gab einen tadellosen Flavio. Francesco Lanzilotta dirigierte die Wiener Symphoniker mit einem ausgeprägten Verständnis für Bellinis Partitur, wobei er die Orchestrierung so ausbalancierte, dass sie die Sänger unterstützte, aber auch die dramatischen Konturen der Musik hervorhob, während der Arnold Schoenberg Chor eine charakteristisch kraftvolle, geschlossene Leistung erbrachte.

Vasily Barkhatovs modernisierte Inszenierung mag nicht alle erzählerischen Plausibilitäten auflösen, aber es gelingt ihr, die zeitlosen Themen der Oper – Liebe, Verrat und Opfer – in einen modernen, bedrückenden Kontext zu stellen. In ihrem Kern ist diese Norma jedoch ein Triumph der Gesangskunst, mit einer dynamischen Besetzung, die Darbietungen von außergewöhnlicher Tiefe und Brillanz liefert. Während die Staatsoper ihren Gegenentwurf noch nicht vorgestellt hat, hat das MusikTheater an der Wien die Messlatte extrem hoch gelegt.


Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.

****1
Über unsere Stern-Bewertung
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“dramatisch glänzte sie am stärksten, wenn sie Norma mit feuriger Intensität erfüllte”
Rezensierte Veranstaltung: Theater an der Wien, Wien, am 19 Februar 2025
Bellini, Norma
MusikTheater an der Wien
Francesco Lanzillotta, Musikalische Leitung
Vasily Barkhatov, Regie
Zinovy Margolin, Bühnenbild
Olga Shaishmelashvili, Kostüme
Alexander Sivayev, Licht
Wiener Symphoniker
Arnold Schoenberg Chor
Ran Arthur Braun, Live Action Design
Kai Weßler, Dramaturgie
Asmik Grigorian, Norma
Aigul Akhmetshina, Adalgisa
Freddie De Tommaso, Pollione
Tareq Nazmi, Oroveso
Victoria Leshkevich, Clotilde
Gustavo Quaresma, Flavio
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