Groß, rostig und unbezwingbar thront das überdimensionale Eisentor im Hintergrund der Bühne. Ein Entkommen scheint unmöglich vor dem Skythenkönig Thoas, der Iphigénie schon seit 15 Jahren auf seiner Insel gefangen hält und zur Opferung von Fremden zwingt. In Moshe Leisers und Patrice Cauriers Inszenierung wird diese Insel zu einem trostlosen und kahlen Gefängnisraum, inklusive Betten aus Eisengestellen und Neonröhren (Bühnenbild: Christian Fenouillat).
Diese Bühne sorgt ab dem ersten Moment für eine unbehagliche Atmosphäre, ragt über den Orchestergraben, und die einzige Wärme scheinen herumliegende Kleiderhaufen zu bieten, die vermutlich einmal den geopferten Fremdlingen gehörten. Alles ist trostlos, selbst die Farben der Kostüme, man kann verstehen, warum Iphigénie die Götter anfleht, sie von diesem trostlosen Leben zu befreien. Leiser und Caurier lassen an König Thoas wenig Royales; viel mehr scheint er ein gefühlloser und rauer Gefängnisdirektor, der nach Blutopfern giert und eine Horde Schläger beschäftigt. Da kommt einem mit unter der ein oder andere Gedanke an Guantanamo in den Sinn. Von der ursprünglichen Handlung aus der griechischen Mythologie ist wenig geblieben, was nicht schadet, da es ganz neue Ansätze für die Aussage des Werkes in sich birgt.
In so einem düsteren Szenario musste sich selbst die sonst so strahlende Cecilia Bartoli fügen und mit raspelkurzen Haaren und fahlen Fetzen auf der Bühne stehen (Kostüm: Agostino Cavalca). Im Gegensatz dazu stand ihre musikalische Glanzleistung: Sie versah die Rolle der Iphigénie mit viel Tiefe und Authentizität. Anfangs noch hoffnungslos und traurig sang sie jammernde Bögen und Melodien mit seufzendem Charakter, ihr starkes Piano hatte etwas unglaublich Verletzliches. Im Verlauf der Handlung wurde sie immer temperamentvoller und rachsüchtiger. Scharfe und gleichzeitig astreine Spitzentöne schmetterte sie durch das Haus für Mozart; diese Iphigénie ist bereit, alles zu tun, um ihren Bruder Oreste zu retten, und man zweifelt keine Sekunde daran.
In der Rolle dieses Bruders bot Christopher Maltman ebenfalls eine sehr facettenreiche Darstellung seiner Rolle, sängerisch wie darstellerisch. Seine Tiefen hatten etwas Grollendes, Bedrohliches – Oreste hatte seine Mutter ermordet und diese Last drückte ihn durchwegs. Er nutzte feine Nuancen seiner Klangfarben perfekt aus; besonders expressiv war er im Forte, wenn Oreste die Gedanken an seine Gräueltaten plagten, weicher wurde er, als er seinen Freund und Mitgefangene Pylade anflehte, anstelle seiner die Begnadigung vor dem Tod anzunehmen.Von seiner Vergangenheit getrieben und trotzdem standfest trat Maltmans Oreste auf, auch dann noch, als er völlig entkleidet auf seine Opferung wartet, was bei diesem gestählten Körper besonders bei den weiblichen Festspielbesuchern Eindruck gemacht haben dürfte.