Teseo, Händels dritte Londoner Oper, hat eine kurze, aber bewegte Geschichte: Bereits nach der zweiten Aufführung 1713 brannte der Impresario mit der Kasse durch, und nach nur 13 Aufführungen versank das Werk in einen Dornröschenschlaf, der von wenigen zaghaften Erweckungsversuchen im 20. Jahrhundert nicht nachhaltig gestört wurde. Wie schön, dass sich am Theater an der Wien mit René Jacobs und dem Regieduo Moshe Leiser/Patrice Caurier nun gleich drei Prinzen gefunden haben, die Dornenhecke zu roden und die Schöne wachzuküssen.
René Jacobs gilt eher als akademischer denn emotionaler Dirigent, doch die Rekonstruktionsarbeit, die er für Teseo geleistet hat, ist mit Kopfarbeit allein wohl kaum zu bewältigen – ohne Liebe oder zumindest Begeisterung braucht man eine Aufgabe wie diese gar nicht zu beginnen. Die „schwierige Geburt“, mit der Jacobs' Ausführungen dazu im Programmheft betitelt sind, hat sich allerdings gelohnt: Dieses Kind ist besonders hübsch geworden.
Dabei ist der Titelheld Teseo (Theseus) noch die blasseste Figur; viel interessanter ist Medea, jene Zauberin aus der Argonautensage, die durch die Tötung ihrer eigenen Kinder unrühmliche Bekanntheit erlangt hat. In diesem recht frei erfundenen dramma tragico (das Libretto schrieb Nicola Francesco Haym nach einer französischen Vorlage von Philippe Quinault) hat die Mörderin bei König Egeo (Aigeus bzw. Ägeus) in Athen Unterschlupf gefunden und unterstützt diesen mit ihren Zauberkräften im Krieg gegen seinen Bruder. Aus diesem Grund hat ihr Egeo die Ehe versprochen, aber nachdem beide andere Liebesinteressen haben (er liebt Agilea, sie wiederum Teseo), ist der Pakt hinfällig. Nach dem Gewinn des Krieges könnte alles seine gute Ordnung haben, wäre Agilea nicht in den jungen Kriegshelden Teseo verliebt. Damit hat Egeo natürlich keine Freude, und Medea will man lieber nicht zur Feindin haben.
In der Produktion von Leiser und Caurier spielt diese Geschichte irgendwo in der Mitte des 20. Jahrhunderts, auch wenn man sich im wunderschönen (und wohl sündhaft teuren) Palazzo, den der Bühnenbilder Christian Fenouillat entworfen hat, beinahe im zweiten Akt von Tosca glaubt – zumal der Abend mit kriegerischer Musik und „Vittoria“-Rufen aus dem Radio beginnt, obwohl der Palast noch als Lazarett dient. Das hat Stil und Witz, und an beidem mangelt es auch den Rest des Abends über nicht. Dazu tragen auch die edlen Kostüme von Cavalca bei, in welchen man das gegensätzliche Duo Medea/Agilea weniger als alt/jung wahrnimmt (was sie von ihrer Biografie her sind), sondern als Kontrast zwischen reiner, unschuldiger Liebe und leidenschaftlichem Begehren. Davon profitiert Medea mit zwei tollen Korsagen-Kleidern, während sich Agilea mit braven Rock-Jacke-Kombis in pudrigen Tönen begnügen muss, bevor sie im Finale (wo Medea vermeintlich aufgegeben hat) doch noch einen schickeren Auftritt bekommt. Dennoch stiehlt Medea dem Liebespaar Teseo-Agilea endgültig die Show, indem sie sich mit einer Handgranate auf deren Festtafel in die Unterwelt befördert.