Wenn ein Neapolitaner wie Riccardo Muti Richard Strauss dirigiert, kann es vorkommen, dass lange übersehene Ungenauigkeiten aufgedeckt werden. Als er 1968 in Neapel zum ersten Mal Aus Italien dirigierte, wand ein Musiker vor dem dritten Teil der symphonischen Fantasie vorsichtig ein: „Aber es gibt keinen Strand in Sorrent!” Steile, steinige Küste dafür, herrliches farbenreiches Panorama, azurblaue Buchten, Blumen. Es ist die eigene Fantasie, die Strauss' musikalische Beschreibung der Schönheit der Gegend mit einem Strand anreichert. Den aufbrandenden Schlussapplaus nach dem Konzert nun mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in München unterbrach Muti kurz und stellte lächelnd das liebevolle Flunkern im Satztitel klar.
Seit 1984 ist Muti gern gesehener wie gehörter Gast beim BRSO. Das Zusammenspiel mit dem Orchester ebenso wie mit dem Chor des BR lobt er immer wieder; auch nach der Reduzierung des Tourneeplans des 82-Jährigen sind die Münchner Musiker immer wieder Ziel seiner Reisen. Gern warb er für weniger präsente Komponisten wie den im Schatten Beethovens stehenden Florentiner Luigi Cherubini, dessen Requien und Messen er in München aufgeführt hat. Oder eben für die selten gespielten Reise-Eindrücke Aus Italien, Op.16 des jungen Richard Strauss, die Muti bereits 1984, auch als Erstaufführung des BRSO, hier vorstellte.
Dass diese Musik keine reine Postkarten-Romantik ist, machte Muti in seiner Interpretation klar. Die Gefühle beim Heraushören von Vogelstimmen in der morgendlichen Campagna sind ihm wichtig, Empfindungen in römischen Ruinen, die heroische Spiele wie traurigen Verfall erlebt haben. Mit geradezu impressionistischer Wehmut zeichnete er das sonnenverwöhnte Erleben um Sorrent und Salerno: wunderbar poetische Soli des Oboisten (Stefan Schilli) oder der Harfenistin (Magdalena Hoffmann). Neapolitanische Straßenszenen und Gassenhauer heizten Becken, Trommel und Trompeten an: aus scheinbarem Chaos lösten sich begeisternde Volkstänze und das berühmte „Funiculi funiculà“.
Für Muti offensichtlich Teile seines eigenen Lebens, die er in weitem Dynamikspektrum inszenierte. In seiner ruhig konzentrierten Taktgebung blühte aussingendes Melos romantischer Weichheit auf; oft ließ er die Musiker spielen, folgte dem Treiben der Musik. Dann strenge Gesten zu sammelndem Fluss, Verdichtung klanglicher Struktur.