Denkt man an Boris Jelzin, kommt einem wahrscheinlich ein Bild in den Sinn: 1996, während seiner Kampagne für die Wiederwahl ins Amt des russischen Präsidenten, tanzte er trotz aller Gerüchte über seine Gesundheit bei einem Rockkonzert in Rostow. Es ist ein Kultbild, für das der Photograph den Pulitzer-Preis gewann: ein schrulliger alter Mann, wahrscheinlich sturzbetrunken an Wodka, versucht sich in oberpeinlichem Gewackel... aber es brachte ihm die Zuneigung einer Nation ein, die fest entschlossen war, nicht wieder unter kommunistische Herrschaft zu geraten. In dieser gewitzten Aktualisierung von Rimsky-Korsakows letzter Oper Der Goldene Hahn der Deutschen Oper am Rhein verwandelt Dmitri Bertman den tolpatschigen König Dodon in eine Jelzin-ähnliche Figur.
Bertman stammt aus Moskau und ist künstlerischer Leiter der dortigen Helikon Oper, steckt also genauso in der russische Politik wie es der Komponist tat. In Puschkins Geschichte, auf der Rimsky-Korsakow seine Oper basierte, ist König Dodon ein unglückseliger Anführer, der versucht, die Grenzen seines Reiches zu schützen, der es jedoch vorzieht, von seinem Bett aus zu regieren, indem er sich auf den gekrähten Rat eines goldenen Hahns verlässt. Rimsky-Korsakows Oper war entzdündlicher Stoff und ein kaum verhohlener Schlag gegen Nikolaus II. Nach dessen demütigender Niederlage im Krieg gegen Japan. Da nimmt es nicht Wunder, dass Der Goldene Hahn 1907 dem Reichszensor in Konflikt geriet.
In seiner Inszenierung erfreut Bertman dadurch, dass er den König als Hanswurst präsentiert. Dodon teilt sich die Badewanne mit seinen Söhnen und seinem General, trinkt Milch aus einer Babyflasche und glaubt naiv, dass das Geschenk eines goldenen Hahns ein Frühwarnsystem für Angriffe der Nachbarn bieten würde. Er ist so überarbeitet, dass Amelfa, seine persönliche Assistentin, alle Telefonhörer abnimmt, damit er in Ruhe ein Nickerchen an seinem Schreibtisch machen kann.
Als sein Sohn nicht aus dem Kampf zurückkommt, macht sich Dodon selbst auf, landet aber in einem Pariser Nachtclub, wo er von der Königin von Schemacha, ein Kabarettmädchen in goldenem, nach vorne offenem Faltenrock und glitzerndem Kopfschmuck, verführt wird. Sie befiehlt ihm, zu tanzen – der Einsatz für die Jelzin-Moves – und er bietet ihr sowohl sein Herz als auch sein Reich. Doch als der Astrologe die Königin als seine Belohnung fordert, ist die Hölle los. Dodon tötet den Astrologen, dann hackt (üblicherweise) der Hahn den König zu Tode. Doch hier sieht man Amelfa den Vogel zu Beginn des dritten Aktes verschlingen, also taucht am Ende des Epilogs, in dem der Astrologe wieder auftritt, um die Moral der Geschicht' zu erklären, taucht Dodon unerschrocken wieder auf – ein politischer Führer, rosig wiedergeboren.
Bertman beruft sich auf einen weiteren russischen politischen Führer – Boris Godunow – in einer Szene, in der Bauernchor genau im Moment von Dodons Heiratseroberung um Brot bittet. Rimsky-Korsakow und Mussorgsky haben sich einmal für eine Weile ein Zimmer geteilt, und da Korsakow Boris überarbeitet und neu orchestriert hat, war dies eine elegante Parallele.