Es muss ein mutiger Regisseur sein, der eine Oper zeigt, deren berühmteste Arie „Nessun dorma“ (dt: Keiner schlafe) als Traum präsentiert wird. Huan-Hsiung Li zählt zu Taiwans führenden Theaterregisseuren, und mit seiner Inszenierung von Turandot für die Deutsche Oper am Rhein in einer Co-Produktion mit dem National Kaohsiung Center for the Arts seines Heimatlandes gibt er sein Europadebüt. In seinem Konzept spielt sich das Drama in den Alpträumen einer modernen, chinesischen Frau ab (gespielt von der Tänzerin und Choreographin Yi-An Chen, geboren in Taiwan, nun im Ruhrgebiet). Sie sehen wir zunächst umringt von Bildern der „Regenschirm-Revolution“ in Hong Kong 2014. Das Tagesgeschehen mit Bereitschaftspolizei verschwindet, und wir befinden uns in einer stilisierten Repräsentation des Pekings der Yuan-Dynastie, in der die Stadt mit einer wirkungsvollen Silhouette als Basis von Jo-Shan Liangs Bühnenbild dargestellt wird. Die moderne Frau taucht immer wieder in der Handlung auf, verschwindet wieder, bezeugt sie und interagiert, während projizierte, amorphe Bilder Traumgebilde suggerieren – verwirrt und ungreifbar.
Huan-Hsiung Lis Ziel, so scheint es, ist eine Analogie zwischen Prinzessin Turandot selbst und den Aufstieg Chinas heute aufzuzeigen – etwas, das man sowohl bewundern als auch fürchten muss. Doch während der Traumgedanke bisweilen wirkungsvoll ist, erscheinen die zeitgenössischen Bilder an Anfang und Ende – Bilder von südostasiatischen Stadtlandschaften, projiziert auf ein Frontnetz – erzwungen und ein wenig unausgegoren. Ich bin auch nicht sicher, was es soll, Kaiser Altoum als Puccini komplett mit Schnurrbart, Gehstock und Melone darzustellen, und die Erklärung des Regisseurs dieser Interpretation im Programm hilft nicht weiter.
Doch es gibt in dieser Inszenierung noch viel zu bewundern, von Details wie diesen amorphen Formen, die sich in chinesische Schriftzeichen wandeln und die richtigen Antworten zu Turandots Rätseln anzeigen, zum effektiven Gebrauch von Raum und Hängewänden, um den Geschehnissen eine angemessen traumartige Zweideutigkeit zu verleihen. Und die Kombination von Jun-Jieh Wangs Videoprojektionen und Volker Weinharts Beleuchtung gibt dem Ganzen echte Atmosphäre.