Offenbachs Oper Hoffmanns Erzählungen zu inszenieren muss ein Geschenk sein. Basierend auf dreien von ETA Hoffmanns verstörenden Geschichten gibt die Oper erfinderischen Regisseuren viel Spiel – oder viel Seil, um sich damit die eigene Schlinge zu knüpfen. Barrie Kosky stürzt sich, mit der ein oder anderen Referenz an das Surreale und das Makabre, in einer grandiosen Neuinszenierung an der Komischen Oper kopfüber in Hoffmanns alptraumhafte Welt. Man mag seinen Entscheidungen nicht immer zustimmen, doch sie werden mit viel Elan ausgeführt und gestalten einen extrem unterhaltsamen Abend.
Offenbach starb vier Monate vor der Premiere des Stückes, und seitdem herrschen Verwirrung wie akademische Debatte darüber, was die Erzählungen eigentlich darstellen. Welche Ausgabe nimmt man, Choudens, Oeser oder die vergleichsweise aktuelle Kaye-Keck? Gesprochener Dialog oder Rezitativ? Welche Reihenfolge für die Akte? Besetzt alle Rollen von Hoffmanns Liebhaberinnen mit nur einer Sopranistin, alle vier Bösewichter mit einem einzigen Bassbariton? Es ist wahrlich ein Opernbuffet, und Kosky bedient sich.
Seine zwei kühnsten Entscheidungen sorgen für Stirnrunzeln. Auf der Basis, dass Offenbach die Rolle für Jacques Bouhy (Escamillo in der Carmen-Premiere 1875) zu komponieren begann, setzt Kosky einen Bariton für den Prolog und den „Olympia“-Akt ein, bevor er sich für „Antonia“ und „Giulietta“ einem Tenor zuwendet. Doch halt... da ist ein dritter Hoffmann! Der ganzen Oper wird ein Rahmen gegeben durch einen Schauspieler – Uwe Schönbeck – der (auf Deutsch) schnauft und keucht, als er sich der drei zum Scheitern verurteilten Liebschaften erinnert. Er ertränkt seine Sorgen in einem Meer von Alkohol, leere Flaschen fluten die Bühne, Schönbecks Hoffmann ist allgegenwärtig. Zu Anfang empfand ich seine Beiträge als lästig, doch im Laufe der Oper habe ich mich mit ihm angefreundet. Hoffmanns Vernarrtheit in Stella, die Sängerin, in der er Eigenschaften vergangener Geliebter aufblitzen sieht, ist in dieser Inszenierung prominenter als in anderen. Kosky ersetzt den Epilog mit... ich will hier nicht alles verraten, nur soviel: es beinhaltet Mozart und einen Sarg und ist überraschend bewegend.
Katrin Lea Tags Bühnenbild ist ein gigantisches, quadratisches Labor, das sich neigt und senkt, um schnelle Szenenwechsel zu ermöglichen. Ihre Kostümierung des Chors führte zu einer der denkwürdigsten Szenen des Abends: die Herren in identischen Ballkleidern necken Hoffmann, die Damen gekleidet wie Antonias Mutter sägen erbarmungslos auf Violinen und stoßen Antonia in ihren Tod.
Nicole Chevalier glänzte in allen drei Sopranrollen (Stella ist eine stumme Rolle) und stahl allen die Schau. Mir fallen nur sehr wenige Sängerinnen mit dem reinen, lyrischen Sopran für die engelsgleiche Antonia ein, die zudem die nötigen schillernden Koloraturen für die Puppe Olympia und die rauchige tiefere Lage des Vamps Giulietta besitzen. Chevalier knurrte, kreischte und bellte, als Olympias Mechanik völlig ausrastete, und ließ Koloraturorgasmen klingen, als ihre Giulietta sich rittlings auf Hoffmann schwang. Ihr komisches Schauspiel als Puppe brachte ihr stürmischen Beifall ein.