Am Sigmundstor, der Tunnel, der in der Nähe des Festspielhauses den mächtigen Salzburger Mönchsberg durchbricht, steht die lateinische Inschrift Te saxa loquuntur: Von Dir reden die Steine. Ebenfalls in den Mönchsberg gehauen und nur einen Steinwurf entfernt liegt die Felsenreitschule, eine ehemalige Kavallerie-Reithalle und heutige Spielstätte der Festspiele. In Romeo Castelluccis Inszenierung von Strauss’ Salome schmückt Te saxa loquuntur den Vorhang. Bevor sich dieser hebt, nimmt Salome ein Schwert und durchschneidet die Inschrift. Welche Geheimnisse würden diese Steine preisgeben? Jegliche Hilfe wäre willkommen, denn Castellucci bietet nur Rätsel.
Nichts ist wie es scheint. Oder zumindest nicht so, wie es das Libretto darlegt. „Der Mond scheint sehr hell”... aber hier ist er verdunkelt, in den Schatten gestellt, ausgelöscht. Juden wischen die Bühne – ein goldener Boden repräsentiert Herodes’ Königreich – bevor ein einziger Tropfen Blut vergossen wird. Jochanaan ist kein „Bildnis aus Elfenbein”, sondern bedeckt mit schwarzem Schmutz, gekleidet in schwarzem Pelz. Er nimmt auch die Form eines schwarzen Hengstes an, kreist in der Zisterne, während die Wiener Philharmoniker laut den Höhepunkt erreichen und sich Salome in einem weißen Nachtkleid – oder ist es ein Brautkleid – befleckt mit Menstruationsblut orgastisch am Boden räkelt, die Beine weit auseinander.
Salome tanzt keinen Tanz der sieben Schleier, sondern nimmt eine Embryonalstellung ein, mit einem schwarzen Band ist sie nackt an Herodes’ Thron gebunden als ein Steinblock langsam absinkt und sie scheinbar erdrückt. Diese Steine sprechen nicht. Sie schweigen. Castellucci versteckt selbst die 96 Bögen der Felsenreitschule, eisig füllt er die Leere, bringt sie zum Schweigen.
Bevor Herodes ihrer schockierenden Bitte nachgeht, wird Salome der Pferdekopf in einem Plastikbeutel geliefert. Sie räkelt sich in einer Lache aus Milch, schreibt fieberhaft auf den Boden. Dann wird ihr nicht das Haupt des Johannes dem Täufer gebracht, sondern sein enthaupteter Körper. Sie sitzt auf seinem Schoß, ist aber außerstande seinen Mund zu küssen, da es keinen Mund zum Küssen gibt. Schlussendlich stürzt der Mond in Gestalt eines Heißluftballons aus schwarzer Seide herab und verschlingt die Bühne.