Rossinis Semiramide ist ein Fixpunkt der italienischen Oper: sie gilt als letzte Barockoper und ist ein monumentales, komplexes Werk mit hinreißender, intensiver Musik. Die Duette sind die wahren Juwelen dieser Komposition - die Abschnitte, in denen sich das Drama entwickelt und die Figuren ihre widersprüchlichen und extremen Emotionen zum Ausdruck bringen, als sie in ihre dramatische Dreidimensionalität finden.
David Aldens Neuinszenierung siedelt die Handlung in einer modernen, exemplarischen Diktatur im Mittleren Osten an, nicht im alten Babylon. Die Ikonographie erinnert den Zuschauer an Sowjetstaaten oder vielleicht Nordkorea, wenn der Persönlichkeitskult des toten Königs den Platz der Religion selbst einnimmt. Eine gigantische Statue des ermordeten Regenten ragt hoch im Tempel zwischen den Hohepriestern (magi) in muslimischen Roben und Turbanen auf. Die Oper wird so zu einer thematischen Reflexion über den Machtkampf zwischen den politischen und den religiösen Kasten. Ein großes Portrait des Königs mit Frau und Kind, das der amerikanischen First Family erschreckend ähnlich ist, hängt drohend über der Szene. Die moderne Produktion wird der unveränderten Handlung gerecht und die sehr ansprechenden Kostüme von Buki Shiff tragen zum starken visuellen Eindruck bei.
In Semiramide verlangt Rossini fast Unmögliches von seinen Sängern: unendlichen Atem, schnelle, knackige Koloraturen und gleichzeitig dramatische Interpretation extremer Gefühle. Um eine Inszenierung dieser Oper auf die Beine zu stellen, braucht man nichts weniger als vier der besten Sänger der Welt und einen intelligenten Dirigenten, der Rossini wirklich versteht. Die Bayerische Staatsoper hat genau das zusammengestellt.
Michele Mariotti holte aus dem Bayerischen Staatsorchester wahrlich authentischen Rossini’schen Geist mit der notwendigen Leichtigkeit und Intensivität heraus. Die Ouvertüre war bemerkenswert; perfekt in der Dynamik, mit einem verblüffenden Crescendo, und dem Hervorheben der verschiedenen Instrumente. Mariotti war unnachgiebig in seiner Unterstützung der Sänger, gezeichnet von konstantem gegenseitigem Verständnis sowie Einheit in der Zielgerichtetheit und der musikalischen Interpretation, was der Vorstellung eine umfassende Einheitlichkeit verlieh.
Joyce DiDonato gibt in dieser Inszenierung ihr Rollendebüt als Semiramide. Rossini hatte die Rolle ursprünglich für Isabella Colbran verfasst, eine Altistin mit großem Umfang, doch seit der Rossini-Renaissance wird sie immer wieder von Koloratursopranen gekapert. Heute klingt es merkwürdig, sie von einer Mezzosopranistin gesungen zu hören. DiDonatos Interpretation war äußerst dramatisch und eindringlich. Sie zeigte eine aufgewühlte, gebrochene Königin, deren altes Verbrechen (der Mord an ihrem Ehemann) ihr gesamtes Sein gezeichnet hat. Wider Erwarten hofft sie, dass ihr die Heirat mit dem jungen Krieger Arsace Lebensglück bringen wird, nur, um dann mitten in einen Freud’schen Alptraum geschleudert zu werden (Arsace entpuppt sich als ihr Sohn). DiDonatos Gesang war brillant, geprägt von wunderbarem Legato und funkelnden Koloraturen – alles Vorzüge einer wahren Belcanto-Künstlerin. Manche Spitzentöne mögen ein wenig gedehnt gewesen sein, doch generell war ihre Leistung atemberaubend.