Teodor Currentzis marschiert in seinen schwarzen Boots und Kosackenhemden zur Zeit durch allerhand bedeutende Konzerthäuser, seine Manegen will man sagen, wo er mit Mozarts La clemenza di Tito seine Aufwartung macht. Überall hin strömt das Publikum, denn werberührendes Rebellentum zieht immer. Man muss dabei sein, um mitreden können: Flair und Furore. Auch das Konzerthaus Dortmund stand wieder auf dem Tourplan, in dem das von Peter Sellars produzierte Opernfinalissimo konzertant von musicAeterna samt Solisten diskussionsreich zur Show zelebriert und das Aufgebaute erneut zu bändigen beabsichtigt wurde.
Rebellen sind und waren schon andere. Mit Recht kann aber behauptet werden, dass niemand so strikt der musikalischen Übermacht nachgeht, sie erzeugen möchte, Extremität und Freiheit, also das zugeschriebene Bild so verkörpert wie Currentzis. Das beweisen unter anderem Tempi, Dynamik, Artikulation und eine große Prise an ungewöhnlicher Unkonventionalität. Die Freiheit befindet sich dabei stetig in einem Spannungsfeld: original versus originell. In dieser Clemenza, drei Tage nach der Prager Uraufführung vor 226 Jahren, werden nebst einigen Arien fast alle – zugegebenermaßen etwas staubigen – Rezitative gestrichen, Exemplare der c-moll-Messe dafür eingesetzt. Obwohl Mozart ein unkoventioneller Geist war, ist seine Milde damit ausgereizt. Seine vorhandene musikalische Verpackung des Ideals und der Vermenschlichung von Versöhnung, eine nicht ungeschickte Inpflichtnahme bei diesem Anlasswerk, benötigt gerade keine sakrale Aufladung. Zu allem Überfluss sparte man sich nicht den für den handlungsändernden Tod des Titus nötigen Appendix der außerdem noch verstellten Fassung der Maurerischen Trauermusik.
Diese Einpflanzer jedoch, in denen sich der musicAeterna-Chor von seiner homogenen, einnehmenden, wuchtigen Kompetenz, zuweilen aber auch zu überzeichnet strengen, schreienden Seite präsentieren konnte, gerieten ergreifend und überzeugend in sich, selbst wenn die eigentlich vorgesehenen Götter-Chori wie zum kaiserlichen Einmarsch, im Attentats-Tumult, zur Freude, behaglich wärmender Güte und zum erlösenden Schluss schon Gelegenheit dazu boten. Waren die im Qui tollis liegenden dynamischen Klage-Extreme auf ihn zugeschnitten, verpassten sie den anderen erzeugten Stimmungen mit ihrer expressiven Reichweite dramatische Effekte, denen man sich nicht entziehen konnte: bissig-monströse Einpeitscher, abgewechselt von sanfter Eleganz, erschaudernder Schreckensverbreitung, wobei die Atmosphäre am Ende des ersten Aktes gar Wagnersche Züge aufwies.
Für die lautmalerisch-geballte Färbung sorgte das in sinfonischer Größe angetretene Orchester, vor dem Currentzis herumtänzelte und das auf dessen Herauskitzler, animierenden Luftdurchschneidungen und schwebenden Einhaucher wie aufs Wort folgte. Besonders die Streicher wirbelten aus dem Stand rasende Rachsuchts- und Entscheidungskämpfe der Charaktere auf, gingen die Sekunde darauf in die innige Klausur zerreißender Schmerzzeichnungen. Zudem knallig-krachende Pauken hier, lieblich umschmeichelndes Holz dort. Gelangen die Übergänge durch das improvisierende Fortepiano unbrüchig, fiel dessen merkwürdige Schwere und etwas synthetischer Klang negativ auf. Allen voran erhöhten freilich Barockgitarre und Basslaute den Störfaktor dieses seltsamen Continuos.