In über 35 Jahren Konzerttätigkeit war Murray Perahia schon bei vielen Orchestern zu Gast, doch bei seinen Auftritten mit der Academy of St. Martin in the Fields ist er als erster Gastdirigent des Ensembles ein ganz besonderer.
Mit einer Symphonie des zum Zeitpunkt der Komposition erst 13-jährigen Felix Mendelssohn Bartholdy, der Symphonie für Streicher Nr. 7 in d-Moll beginnt der Abend in der Felsenreitschule, der unter dem Titel „Murray Perahia - Academy of St. Martin in the Fields“ steht. Zur Überraschung aller Zuschauer ist dann allerdings erst einmal nur die Academy ohne ihren berühmten Gastdirigenten auf der Bühne zu sehen. Eigentlich nichts ungewöhnliches wenn man sich an die Gründerzeit des Ensembles erinnert, denn in den Anfangszeiten spielten die Musiker ausschließlich ohne Dirigenten. Dennoch ist es ein ungewohnter Anblick, der Höreindruck überzeugt jedoch schnell vom Gegenteil. Die Musiker sind perfekt aufeinander eingespielt und das Ergebnis ist ein sehr ausgeglichenes. Die Besonderheit des ersten Satzes liegt in den zwei Themen, die in den verschiedenen Violinstimmen nochmals aufgeteilt werden. Auch ohne Dirigenten spielen die Engländer sehr akzentuiert und verweben die beiden Themen, ohne eines zu vernachlässigen. Sehr abwechslungsreich gestalten sie auch das Fugenthema im Finalsatz, obwohl dieses im Verhältnis zu den anderen Sätzen sehr formtreu komponiert ist.
Dann kommt er aber doch noch auf die Bühne, Murray Perahia. Fast so selten wie ein Gastdirigat bei der Academy of St. Martin in the Fields ist die Anzahl an Aufführungen der Symphonie in B-Dur (Hob. I:77) von Joseph Haydn. Schade, denkt man sich, denn so wie Perahia die Engländer durch die Haydensche Rarität leitet, bekommt man Lust, sie öfter zu hören. Er setzt vor allem auf die Ausdruckskraft der Dynamik, variiert die Tempi und erinnert damit beim Menuetto deutlich daran, dass diese Form eigentlich einen tänzerischen Hintergrund hat.
Und zum Schluss gibt es dann noch einen besonderen Blick auf das Orchester. Für Beethovens Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 wird der offene Steinway-Flügel zum Dirigentenplatz. Zuerst sitzt Perahia noch und steigt mit locker gespielten Verzierungen ein. Er beginnt langsam, einen Spannungsbogen aufzubauen, den er immer steiler ansteigen lässt. In den langen Läufen präsentiert er eine astreine Technik und atemberaubend schnelle Oktavsprünge, dass man glatt vergessen könnte, dass der Pianist auf Grund einer schweren Handverletzung einige Jahre zwangspausieren musste. Spätestens beim Adagio geht Perahia völlig in der Partitur des Komponisten auf, der das Werk zu einer Zeit verfasste, in der es ihm auf Grund seiner zunehmenden Taubheit nicht mehr möglich war die Uraufführung selbst zu spielen. Voller Verzweiflung über diese Ohnmacht gegenüber der eigenen Gesundheit komponierte Beethoven sein letztes Klavierkonzert und verlieh damit seiner inneren Unruhe Ausdruck in kraftvollen Gesten und Wechseln zwischen langsamen und tempostarken Passagen. Murray Perahia steht zwischendurch immer wieder auf, um sein Orchester zu dirigieren und sitzt im nächsten Moment wieder am Flügel, ganz in die Rolle des Pianisten vertieft.
Nach diesen stark emotionalen letzten Takten ist es um das Publikum geschehen, doch diesem wunderbaren Moment der Begeisterung macht leider die Lichttechnik der Felsenreitschule einen Strich durch die Rechnung. Nach mehreren ungeplanten Veränderungen der Lichteinstellung geht die Beleuchtung auf einmal komplett aus. Davon lässt sich jedoch niemand verunsichern. Vielleicht fühlte sich Beethoven ja damals beim Eintritt seiner Taubheit genauso, wie die Musiker im Dunkeln auf der Bühne - machtlos gegen die äußeren Einwirkungen, aber dabei immer noch gefeiert.