Seit vielen Jahren blicke ich am ersten Februar-Samstag, beziehungsweise ersten oder zweiten März-Samstag gen Concertgebouw Amsterdam, wo glücklicherweise wieder etwas geläufigere italienische Barockopern oder sonstige Schätze der Epoche im Laufe der letzten Jahre ihr Datum für ihre mitunter niederländische neuzeitliche Premiere erhalten haben. Und zwar in der NTR ZaterdagMatinee, deren Direktor Kees Vlaardingerbroek seiner Vorliebe dafür, spätestens seit seinem Musikwissenschaftsstudium in Bologna, dort im Rahmen des Finanziellen sowie der Balance mit Bekanntem und Uraufführungen neuer Kompositionen frönen darf. In Andrea Marcon hat er seit über fünfzehn Jahren einen musikalischen Partner und Freund gefunden, dem es in diesem Jahr oblag, den oströmischen Il Giustino in eigener Edition als neunte Vivaldi-Produktion im „Westreich” zu präsentieren. Die Oper, die Vlaardingerbroek als Programmchef in Rotterdam 2001 mit Alan Curtis jener hiesigen, CD-gepressten Erstveröffentlichung zuführte, nachdem sie der amerikanische Kollege 1985 ausgebuddelt hatte.
Hörte ich sonst über den institutionellen Medienpartner zu, sollte ich diesmal endlich vor Ort meine Eindrücke aufnehmen, war mein angedachtes erstes Mal dieser Amsterdamer Musikbeziehung 2020 dahingehend von Coronamaßnahmen auf deutscher Seite und der Unpässlichkeit Marcons zunichte gemacht worden. Beziehung und Vereitelung sind die Stichwörter Vivaldis nachzüglichen Beregan-Dramas, das als ausgewachsener Brüderzwist von der Verhinderung des Honeymoons des byzantinischen Kaiserpaars Anastasio und Arianna durch die Belagerung der Stadt und Entführung der Braut durch Tyrann Vitaliano handelt. Und im folgenden Rettungsgeschehen durch zunächst schiffbrüchigen, aber insgesamt schicksalsgütlichem Kampfheld Giustino davon angereichert wird, dass einerseits eifersüchtiger General Amanzio seine Finger intrigantisch und andererseits Andronico verkleidet strafrechtlich relevant im Spiel haben, dem Glück typisch im spielzeitverlängernden Wege zu stehen.
Die gut drei Stunden gestaltete Marcon – rund um seinen 60. Geburtstag – mit immer weiserem Instinkt und erfahrenstem Können für Effekte und Affekte, als er mit den einfühlend und immanent-naheliegend angewandten Stilmitteln von Rubati und Ritardandi, blendend kontrastierenden Dynamiken und stimmig-flinken Tempi sowie mit dem Ausnutzen des langen Dirigentenaufgangs im Concertgebouw das Treiben der sich Liebenden und Hassenden näherbrachte. Vorzüglichst umgesetzt hat sie sein La Cetra Barockorchester Basel mit von Konzertmeisterin Eva Saladin angeführten feinen, sprühenden und klangeinheitlich perfekt intonierten hohen und mittleren, von Alex Jellici vorgestandenen tiefen, knackigen, texturverleihenden Streichern als verlässliche Zieher, Schrauben und Federn des messingbeschlagenen Streitwagens sowie die weitere Besetzungsbasis des Continuos mit Cembalist Andrea Buccarella (ab und zu von Marcon gedoppelt) und Daniele Caminiti an der Theorbe als Rad und Chassis dieses fahrenden Kampfuntersatzes. Dazu erfüllten die Hölzer aus Georg Fritz' und Olga Marulandas Oboen und Blockflöten und Carles Cristóbals wunderbarem Fagott ihre Aufgaben ebenso meisterlich.