Einundzwanzig Sängerinnen und Sänger am Besetzungszettel der Wiener Staatsoper, zwei große Chöre, drei Ballettensembles, fünf Stunden Erlebnis: Wer Les Troyens sagt, sagt auch Gigantomanie – aber wie sonst sollte man Vergils Aeneis gerecht werden?
Berlioz hat mit seinen Trojanern unbestritten die monumentalste grand opéra geschaffen, doch täte man dem Werk unrecht, es auf seine Dimensionen zu reduzieren: Der Fall von Troja, erweitert um die tragische Liebesgeschichte von Dido und Aeneas (bei Berlioz: Didon und Enée), erzählt sich nicht in einem Einakter, und Berlioz hatte, bei allem Größenwahn, Sinn für Details. Er brannte für den Stoff und fasste ihn in eigene Worte und rauschhafte Musik; mit dicker Orchestrierung, aber nie bombastisch oder schwülstig. Les Troyens lebt dramaturgisch und insbesondere musikalisch von spannenden Gegensätzen – das Unerwartete, die Konfrontation verschiedener Stimmungen, übersetzt in Rhythmus, Melodie und Klangfarbe, übt einen unwiderstehlichen Reiz aus.
Das Werk beginnt mit der Freude der Trojaner über das scheinbare Ende des zehnjährigen Kriegs mit den Griechen und wird kontrastiert durch Cassandres üble Vorahnungen, denen nicht einmal ihr Verlobter Chorèbe Glauben schenkt. Nur kurz, bei der Nachricht vom Tod des Laokoon, der vor dem trojanischen Pferd gewarnt hatte, ist das Volk verunsichert. Mit diesem Grauen, das sich als „mystérieuse horreur“ im Chor manifestiert, hat bereits der erste Akt einen beeindruckenden Höhepunkt. Bekannterweise missdeuten jedoch alle – der Held Enée inklusive – die Umstände von Laokoons Tod, und besiegeln mit dem Einzug des berühmten Pferdes in die Stadt ihr Schicksal. (Bei Ausstatterin Es Devlin ist das Pferd aus Versatzstücken des Krieges gebaut und von innen beleuchtbar.)
Der zweite Akt zeigt Szenen der letzten Stunden von Troia. In dessen Finale überzeugt Cassandre viele Troianerinnen, mit ihr in den Freitod zu gehen und sich nicht dem Feind auszuliefern. Unweigerlich muss man hier an Francis Poulencs 100 Jahre später entstandene Dialogues des Carmélites denken und ist dementsprechend erschüttert.
In der Inszenierung von David McVicar wird Bewährtes serviert. Man hat jene Produktion eingekauft, die ihren Ursprung am Royal Opera House in Covent Garden hat. Das Werk wird als das gezeigt, was es ist, wobei die Optik sowohl an Kriegs- als auch an Gladiatorenfilme erinnert und teilweise mit opulenten Kostümen im Stil des 19. Jahrhunderts aufwartet. Da selbst die große Bühnen für so viel Personal eng werden, baut Es Devlin ihre Bühnenarchitektur in die Höhe und nutzt diese Dimension auch im Sinne des Werks: Wenn sich bei Enées Wegfahrt aus Karthago das zerbrochene Mini-Modell der Stadt ins (nur angedeutete) Wasser neigt, und die Taue des (ebenfalls nur angedeuteten) Trojaner-Schiffs gelöst werden, hat das hohe Symbolkraft.