Wer das Glück hatte, dem Konzert von Leonidas Kavakos und Yuja Wang am 3. April 2014 im Münchener Prinzregententheater beiwohnen zu dürfen, der wird von der Seelennahrung dieses 90-minütigen Vortrags aller Brahms-Violinsonaten noch lange zehren. Die heiter-ernste Stimmung, die sich in den Gesichtern der Konzertbesucher bereits in der Pause widerspiegelte, erinnerte an den Duo-Abend, welchen der 1967 geborene griechische Geiger ebenfalls mit den drei Brahms-Sonaten im Oktober 2008 im Herkulesaal gab, damals begleitet von der kongenialen Elisabeth Leonskaja. Noch Monate nach diesem Konzertabend schwärmten die Zuhörer des damaligen Rezitals von diesem unvergesslichen Kammermusikgenuss.
Sechs Jahre und unzählige Konzerte später vermochte es Kavakos abermals, eine sehr individuelle und charakterstarke, wenngleich nicht unumstrittene Interpretation der Brahms-Sonaten vorzulegen, diesmal im Zusammenspiel mit Yuja Wang. Die erste der drei Violinsonaten in G-Dur (op. 78) von 1879 wird auch als „Regenlied-Sonate“ bezeichnet. Dies liegt daran, dass der letzte Satz dieser Sonate sein thematisches Material aus dem zweiten der drei sogenannten „Regenlieder” zieht, die Johannes Brahms 1872/73 nach Gedichten von Klaus Groth vertonte. Diese Texte sind ein melancholischer Rückblick auf die verlorene Jugend. Brahms' Biograph Max Kalbeck beschreibt die Sonate als „doppeltes Lenzlied, das die Vergangenheit mit der Gegenwart wieder zum Blühen bringt und dabei an die Hinfälligkeit der Zeiten mahnt.”
Um die Interpretation von Kavakos und Wang zu würdigen, muss man sich diese Zwiespältigkeit vor Augen führen. Wie 2008 spielte Kavakos das überirdisch schöne einleitende Thema des ersten Satzes sehr zurückhaltend, ja fast distanziert, und ließ die zum zweiten Motiv überleitende Achtelpassage fast ohne Vibrato im Nichts verschwinden. Dieser nonchalante Umgang mit dem romantischen Material erinnerte beinahe an historische Aufführungspraxis, war jedoch bewusst eingesetzt, um eine den ganzen Satz anhaltende Steigerung bis hin zur dramatischen Coda vorzubereiten. Dies schien zumindest der Plan zu sein. Leider war die Reprise dann aber immer noch zu zurückhaltend und die finale Klimax fiel fast aus dem Rahmen. Noch bevor der letzte Ton des ersten Satzes verklungen war, kommentierte ein Zuhörer in der ersten Reihe mit einem lauten Raunen: „Sehr schön!“. Genau das war es, „sehr schön“; vielleicht sollte es auch nicht mehr sein als das. Und sehr schön war dann auch der zweite Satz. Kavakos' Violine erzählte die sanglichen Melodien mit großer Ästhetik und Yuja Wang trat in einen feinen Dialog, stets äußerst klangschön und mit perlendem Anschlag.
Am überzeugendsten gelang dem Duo der dritte Satz, der der Sonate ihren Beinamen gab. 1873 schrieb Brahms seine zweite Vertonung des Groth-Gedichts „Walle, Regen, walle nieder” (Acht Lieder und Gesänge, op. 59 Nr. 3). Der pointierte Rhythmus zu Beginn des Liedes („Walle, Regen”) und die darauffolgende fis-Moll-Melodie werden im letzten Satz der Sonate zitiert. Die Partitur ist in beiden Stimmen durchzogen von einem lautmalerischen Motiv, das an herabfallende Tropfen gemahnt. Kavakos ließ seinen Bogen sehr kurz von der Saite abtropfen, benutzte meist kein Vibrato und erzeugte damit eher einen kühlen Herbst- als einen Frühlingsregen. Yuja Wang hingegen entlockte dem wuchtigen Konzertflügel vor allem in der Durchführung wunderbar feine, perlende Töne, die kontrastreich mit den Geigen-Tropfen harmonierten. Möglicherweise hätte der ganzen Sonate ein flüssigeres Tempo gutgetan, aber das ist wahrlich Klagen auf höchstem Niveau.