Sir Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker haben im Moment ein Programm mit zwei sehr unterschiedlichen Kompositionen im Reisegepäck: Boulez’ kurzes Fragment Éclat bildet den Auftakt zu Mahlers ausladender Siebter Symphonie.
Der Gegensatz zwischen diesen zwei Werken besteht nicht nur in der Dauer: Mahlers Symphonie verlangt nach einem vollen Orchester, Boulez setzt auf ein kleines Instrumentarium. Die Symphonie ist expressiv, oft getrieben, den Hörer auf vielfältige Weise direkt ansprechend, Éclat hingegen ist ein stilles Werk, das dazu auffordert, hinein- und den Klängen nachzuhorchen. Die Komposition erschließt sich nicht unmittelbar von selbst, die Musik evoziert kaum Assoziationen, sicher keine konkreten Bilderwelten, bleibt im Gegenteil abstrakt – ein leeres Blatt, sozusagen, das den Hörer dazu auffordert, loszulassen, allenfalls Leerräume mit eigenen Gedanken zu füllen.
Als Éclat könnte man den Beginn des Stücks sehen: eine Abfolge kurzer, heftiger Klangcluster auf dem offenen Konzertflügel, mehrfach ansetzend und verklingend. Zunehmend beteiligt sich neben der Harfe auch das Schlagwerk am Geschehen, aber über weite Strecken bleibt die Klangwelt spärlich, die Töne verklingen, lassen Raum für Erwartung. Ein Rhythmus ist außerhalb der Motive kaum vorhanden, natürlich auch keine erkennbare harmonische oder melodische Struktur, bis auf die Beantwortung von Klangfolgen durch Nachfolgende „ Ereignisse”. Man schwebt als Hörer frei im Raum, kann sich treiben lassen. Erst in der letzten Minute verdichtet sich das Klangbild, um dann überraschend in Stille zu verklingen.
Sir Simon stand hier in der Mitte des voll „möblierten “ Orchesterpodiums; die 15 Musiker waren lose im hinteren Teil der Bühne platziert. Rattle dirigierte mit einer speziellen Gebärdensprache, Formteile anzeigend, Einsätze markierend, gab mit Zählfingern die Reihenfolge von Sequenzen an. Mein einziger, kleiner Kritikpunkt: der am linken Rand stehende, offene Flügel klang für mich etwas diffus, schlecht definiert, trotz der relativ trocken eingestellten Akustik des Weißen Saals im KKL.
Mahlers Siebte wird selten gespielt. Obwohl der Komponist das Werk als „vorwiegend heiter“ beschrieben hat, scheint es vielen schwer verständlich. Rattle ist mit der Symphonie gründlich vertraut, sein Orchester zeigte sich hier von der besten Seite. Beim Beginn dachte ich spontan an „Spaltklang “: die Blechbläser dünkten mich etwas gar direkt, vordergründig, nicht in den Orchesterklang integriert. Bevorzugt der Dirigent ein analytisches, transparentes Klangbild, oder wurden die Echokammern für das Eingangsstück geschlossen? Im weiteren Verlauf kamen allerdings auch die Streicher mit ihrem homogenen, satten Klang durchaus zu ihrem Recht. Im ersten Satz schienen die Tempi oftmals etwas gedrängt. Wenn Mahler „Nicht schleppen “ schreibt, legte Rattle das öfters als Aufforderung zum Beschleunigen aus. Generell wollte der Dirigent wohl Mahlers unruhige, getriebene Seite herausstellen. Etwas wienerische Stimmung kam erst mit dem Violinsolo im zweiten Teil des Satzes auf, wobei Rattle den Eindruck von Gemütlichkeit tunlichst vermied. Erst gegen Ende wird die Musik endlich ruhig, verbreitet sich auch intensive Wärme, Geborgenheit. Dabei hielt der Dirigent die Emotionen durchaus unter Kontrolle, vermied Üppigkeit, gestaltete große Bögen, formte aus der epischen Breite dieses Satzes ein überzeugendes, packendes, dramatisches Ganzes.