Bereits mit seiner ersten Oper wurde Benjamin Britten 1945 berühmt: Peter Grimes hatte bei der Uraufführung im Sadler's Wells Theatre des Nachkriegs-London großen Erfolg. 1942 war Britten mit seinem Lebenspartner Peter Pears nach New York emigriert, auf der Flucht vor politischen Wirren in Europa, die sein Schaffen beeinträchtigen könnten. Die Gestalt des Fischers Peter Grimes, eines Außenseiters, der durch eigene Schuld ebenso wie eine aggressive Kleinstadtgesellschaft in Wahnsinn und Tod getrieben wird, hat ihn in Montagu Slaters Textbuch, auf eine Dichtung von Georg Crabbe aus dem frühen 19. Jahrhundert, offenbar besonders gereizt; waren er und sein Partner ja ebenso Ausgeschlossene in einer sittenstrengen Gesellschaft. Daher sah Britten wohl eher den Idealisten als den Querkopf in Grimes, der eigentlich zur Gesellschaft gehören, heiraten, das Meer leer fischen, erfolgreich ein Geschäft betreiben möchte.
Ob die Coburger Wurzeln des Prinzen Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, der 1840 die britische Königin Victoria heiratete, einen besonders fruchtbaren Bühnenboden bereiten? Bezüge zu England findet man in Coburg oft, und am Landestheater wird derzeit auch eine Ballett-Choreographie Very British englischer Kompositionen gezeigt. Die Verpflichtung des jungen österreichischen Regisseurs Alexander Charim – 2016 in Wien mit dem Nestroy-Preis für seine Fassung der Lichter der Vorstadt von Aki Kaurismäki ausgezeichnet – erwies sich als goldrichtig. Er verlegt die Handlung ins 20. Jahrhundert, zeigt wie aus Argwohn und Halbwahrheiten eine Bürgerschaft zu Hass, Ausgrenzung und Gewalt radikalisiert werden kann, ohne dabei platte politische Anspielungen zu zeichnen. Er setzt einen Teil der Bühne, deren karge Wände und abstrakte Kuben gleichzeitig zu Kammern, Kneipen, Kirchenbänken und Kähnen werden können (Bühnenbild: Ivan Bazak), ins Parkett, rückt mit Grimes' Rückzugsraum von aufgewühlten Kissen und durchgelegener Matratze dicht an die Zuhörer. Diese werden im Prolog, in der die Gerichtsverhandlung Grimes von der Schuld am Tod eines Fischerjungen freispricht, ebenso wie Chor und Statisten mitten in die turbulente Handlung einbezogen.
Roman Payer füllte diesen Grimes in völliger Hingabe an die Träume und tragische Abkapselung restlos aus, ließ Peter in Phrasierung seiner Diktion und detaillierter Gestaltung aller Nuancen zwischen Hoffnungsillusionen und Verbitterung überwältigend Gestalt werden. Wer in Brittens eigener Einspielung Peter Pears' Stimme als zu weich und kunstvoll für die raue Umgebung des ostenglischen Küstenstreifens empfand, findet in Payers musikalischer Darstellung einen fast heldentenoralen Ansatz, dessen sicheres baritonales Fundament den Überlebenskampf glaubhaft machte.
Charims Deutungsansatz überzeugt vollends, wenn in der stummen Rolle des neuen Lehrlings John kein Kind agiert, sondern ein junger Erwachsener, dessen Kraft, Emotion und Suche nach menschlicher Wärme Gegenpole von Grimes' Seelenzustand werden. Der Schauspieler Thomas Kaschel spielte diesen Part atemberaubend, gab seinem Auftreten, seiner Ausstrahlung die darstellerische Anziehungskraft einer vokalen Arie. Dass dadurch eine erotische Faszination zwischen Peter und John entstehen kann, deren Duldung im Fischerdorf unmöglich wäre, erscheint im Hinblick auf Brittens Lebensgeschichte beziehungsreich und im dramatischen Ablauf des Opernplots stimmig.