Nach 46 Jahren endlich wieder eine Neuproduktion der Cavalleria rusticana von Pietro Mascagni sowie Pagliacci von Ruggero Leoncavallo an der Bayerischen Staatsoper! Zwei Jahre liegen zwischen der Entstehung der Operneinakter, beide wurden als Beitrag zu Wettbewerben des italienischen Verlags Casa Musicale Sonzogno eingereicht, bei dem die Komposition einer Oper in einem Akt verlangt war. Beide wurden ausgezeichnet, 1890 Cavalleria rusticana uraufgeführt. In New York erklangen sie erstmals zusammen, nachdem beide exemplarisch wirkten für den Verismo, dieser italienischen Spielart des Realismus, der den Blick auf die Unterschichten richtet, ihre Handlungen oft an Orten spielen lässt, die von Armut geprägt waren: in Städten wie Neapel oder in sizilianischen Dörfern, um dem einfachen Volk und den Bauern eine Stimme zu geben. Beide Handlungen spielen in einer Welt, die ihren Halt verloren hat und die sich umso mehr an ihre Traditionen klammert.
Das Regieteam um Francesco Micheli, langjähriger Leiter des Donizetti-Festivals in Bergamo, der erstmals eine Münchner Produktion verantwortete, hat für die beiden unabhängig voneinander entstandenen Opern eine gemeinsame Klammer gefunden: „die Geschichte eines Mannes, der in Cavalleria seine Wurzeln verloren hat und in Pagliacci versucht, seine ursprünglichen Bindungen in einer neuen Gemeinschaft wiederherzustellen, aber dabei elendig scheitert.“ Migration ist ein Phänomen nicht nur der Vergangenheit. Viele junge Süditaliener, wenngleich deren Zahl derzeit gesunken ist, und mit ihnen Migranten aus armutsgefährdeten Regionen der Welt müssen ihr Glück auch heute noch woanders suchen.
Wie in einer Postkartenidylle lassen Micheli und sein Bühnenbildner Edoardo Sanchi die Cavalleria an einem Strand beginnen, wo sich der junge Turiddu und seine Verlobte Lola voneinander verabschieden, da er im reicheren Norden Geld verdienen will für das gemeinsame Glück. Im Eisenbahnwaggon fährt er ab, ausgeschildert „Palermo – München“. Aus dem Bühnenplafond wird eine Drehbühne abgesenkt; mit der süditalienischen Bauernromantik ist es darauf vorbei: kantige Holzbänke und Tische dienen wahlweise als Kirchenmobilar wie als Marktbestuhlung einer Trattoria, die die Bewohner zum Bicchiere di rosso aufsuchen. Auf einer ausladenden Bettstatt, die sich ebenso langsam im Kreis dreht, ruht Lola, die inzwischen den Kaufmann Alfio geheiratet hat. Turiddu wird bei der Rückkehr von seiner Mamma Lucia innig umarmt; er macht Santuzza den Hof, beginnt jedoch auch eine Affäre mit Lola, deren gehörnter Gatte Turiddu zum Duell fordert. Bevor es einen Toten gibt, verschwindet Turiddu – nach Norden.
Wenig mediterran ist die Lichtregie (Alessandro Carletti) in der Cavalleria. Da dominieren düster blaue, blutfarbene wie fahle Lichttönungen, lasten lähmend auf der ausweglosen Situation, lassen eher an russische Atmosphäre einer Puschkin-Novelle denken. Ähnlich schwermütig empfindet man auch die Personenregie, in der neben zahlreichen bäuerlichen Statisten auch die Choristen oft statisch agieren; keine Spur einer aufregend lebendigen Italianità.
Klangedel das Bayerische Staatsorchester, das Daniele Rustioni im berühmten Intermezzo berührend aufrauschen, sonst ebenfalls in getragenem Lento musizieren ließ, als wenn die Drehbühne den Takt angäbe. Überzeugend die Sängerriege, in der Yulia Matochkina als Santuzza und Ekaterine Buachidze als Lola gefühlvoll brillierten. Ivan Gyngazov imponierte mit leuchtkräftigem Tenor als Turiddu, als Lucia Rosalind Plowright. Wolfgang Koch gab einen verschlagenen Alfio.