Fast zweihundertundein Jahre ist es her, da feierte von Webers Der Freischütz seine Premiere in Berlin. Die direkt nach der Uraufführung betitelte „erste deutsche (romantische) Nationaloper“ um das waldige, zwischen- und übermenschliche Jagen erblickte das Licht der Welt und mit ihr in der Folge der Jahrhunderte eine Schar an Musikern, die auch dafür auf die Bretter des Theaters wollten. Für einige war das Bühnenstück selbst das erste Mal im professionellen Betrieb, unter anderem für meine Mutter als Opernsängerin im südwestdeutschen Raum, dem originalen Schauplatz der „Wolfsschlucht“. Wie seit Generationen bin ich deshalb vielleicht etwas vorbelastet. Allerdings dergestalt, dass ich mir endlich die hiesige Realisierung auf historischen Instrumenten wünschte, verleihen doch besonders die geforderten ventillosen Hörner das farbige, reizende Flair des ganzen Settings.
Zwar hatte Thomas Hengelbrock jene traditionellen Jagdgefährten im ansonsten auf modernen Instrumenten spielenden Mahler Chamber Orchestra in seiner Baden-Baden-Interpretation integriert und Laurence Equilbey erstmals das Stück auf früherem Instrumentarium in Frankreich präsentiert. In den Genuss einer Wiedergabe in komplett historischer Besetzung hierzulande kam ich allerdings eben nicht. Das änderte sich mit dem Freiburger Barockorchester, also noch aus den schönen Tiefen dieser angesprochenen Region kommend, und seinem Operndauergastdirigenten René Jacobs (zusammen mit Regieassistent Benoît de Leersnyder), die gemeinsam ihre eigene Premiere mit dem Freischütz in immer zusagender halbszenischer Form ablieferten.
Durch Neugestaltung der Dialoge mit behutsam aufpeppenden Eingriffen in Länge und Sprache, der Ausweitung der Sprechpartie Samiels sowie der Komposition der – bei Weber zum Missfallen von Librettist Kind fehlenden – eigentlich ersten beiden Auftritte des ersten Aufzugs unternahm Jacobs den geglückten Versuch, die Oper durch Albtraum und Geschenk des Eremiten schlüssig auf die Füße zu stellen. Als Running Gag wurde der Dirigent als Samiels „Meister“, welcher sich anfangs auch durch die zwei vor ihm herumfiedelnden Violinen der bühnenmusikalischen, achtköpfigen Schützenkapelle belästigt sah, ins Geschehen eingebunden. Er vermochte es, erneut mit kongenial einfachen wie überzeugenden Mitteln die wichtigen komischen Elemente herauszukitzeln. Neben Ännchen und Samiel machte diesen Singspielcharakter vor allem der spott-parodistische, köstlich ausgereizt artikulierende Chor der Landleute (bunte Brautjungfern und Jäger, zwischendurch schwarze Ritenzeugen) in Form der höllisch guten Zürcher Sing-Akademie deutlich, während das Orchester neben gewitzt schluchtigen Portamenti dazu mit ansteckender Ausgelassenheit in den volksliedbeseelten Tänzen beitrug.
Dass FBO – bei wiederkehrender, programmouvertürenhafter Motivik mit Raum für Accelerandi nicht allzu überhitzt, ansonsten zuverlässig dynamisch und akzentuiert lebhaft – spielte wieder in seiner nicht-antiphonen Aufstellung. Die wurde wohl unter Webers Kontrahent Spontini seinerzeit im Graben praktiziert, während die Konzertorchester, der Komponist selbst und viele andere in Berlin und Dresden die deutsche (Reichardt'sche) Positionierung bevorzugten und pflegten. Das sollte dabei mittlerweile leider genauso der kleine wehrmutstropfende Nachteil unter raumklanglichen, strikten musik-authenthischen Aspekten im engeren Sinne sein. Dennoch ließen die ersehnten, einzigartigen Farbspektakel von bravourösem Blech, Holz, Perkussion und mystischen Darmsaiten das Herz höher schlagen. Erst recht, wenn die Wolfsschlucht erst im Dunkel dramatischer Gespenstigkeit, dann feuerrot im rituellen Hexenwerk wunderbar naturalistisch entstand, wenn das Freikugel-Gießen, Wind- und chorisches Wolfsgeheul nachgeahmt wurden, oder wenn Schlagwerker Mikolaj Rytowski vor dem Grummeln seiner Basstrommel neben Charlie Fischers erdauftuenden Pauken überdies die Uhrzeit anschlug oder mit der Pistole knallte.