Der Märchenwald ist abgebrannt. Regisseur Axel Ranisch hat Hänsel und Gretel, der Märchenoper, jede Romantik an der Staatsoper Stuttgart ausgetrieben. Während des Vorspiels ist noch ein kurzer Blick in einen grünen Wald erlaubt, doch dann schwebt die Videocamera langsam über die Landschaft, die Bäume werden immer kahler, Tiere ergreifen die Flucht, bis nur noch abgebrannte Stümpfe zu sehen sind und züngelnde Flammen am Horizont. Auch von der „kleinen dürftigen Stube” von Hänsel und Gretel sind nur noch ein paar Bauteile übriggeblieben, in denen die Kinder vor verkohlten Baumstämmen allerdings munter herumtanzen, fröhliche Lieder singen und auch ziemlich manierlich gekleidet sind – ab jetzt ist dieses Bild ganz konventionell inszeniert. Ein eigentlich normales Leben in solch dystopischer Welt? Irgendwo ist da ein Widerspruch, der auch die ganze Aufführung über nicht aufgelöst wird.
Denn Ranisch hat ein Konzept: Seine Botschaft sind Klimawandel und Umweltzerstörung. Was allerdings diese Idee für die Interpretation gerade dieser Oper hergibt, bleibt offen. Die grundsätzliche Lebensfreude, die trotz der Armut (die szenisch überhaupt nicht thematisiert wird) diese Märchenoper durchzieht, wird nicht hinterfragt oder aufgebrochen. Es bleibt lediglich bei der Kulisse, womit der Regisseur die Geschichte neu erzählen möchte – oder wie er es im Programmheft treffend selber formuliert: Du musst „die Geschichte mit dem aufpeppen, was dir wichtig ist.” Für's „Aufpeppen” aber erscheint die Frage nach der Zukunft unseres Planeten denn doch zu wesentlich.
Was mögen die zahlreichen Kinder in der Premiere wohl gedacht haben, dass es im dritten Bild auch kein Knusperhäuschen gibt? Die Szenerie ist plötzlich bunt und poppig und statt von Lebkuchen zu naschen, lutschen die Kinder an runden undefinierbaren Scheiben herum, den Produkten der Firma „Leckermaul”, an deren Fassade sie kleben. Die Hexe stellt sich als Chefin dieses Unternehmens heraus und ihre Geschäftsidee ist es, auf industrielle Weise Kinderkörper zu Süßigkeiten zu verarbeiten, und der Produktionsprozess mit Kran und Fließband lässt sich sogar im Hintergrund verfolgen. Aus der skurril-phantastischen Komik mit der Knusperhexe ist hier, auch wenn alles nur stilisiert ist, auf platte Weise zynische Bosheit geworden. Die Frage nach dem tieferen Sinn bliebt auch hier offen.