Es ist still geworden um ihn: Paul Hindemiths Kammermusik oder Orchesterwerke wie Mathis der Maler oder Nobilissima Visione sind nur vereinzelt auf Konzertprogrammen zu finden. Seine Werke sind wohl zu modern, um zum Kanon der Klassiker zu gehören; gleichermaßen erscheint seine Musik zu traditionell, um zum zeitgenössischen Repertoire gezählt zu werden. Er hatte neben „konservativer Schulung“ an Vorbildern wie Bach und Bruckner zugleich lebhaftes Interesse für die Zauberreiche neuer Harmonik eines Debussys oder die Jazzrhythmen eines Strawinskys gezeigt, sie neugierig experimentierend in seine Werke eingegliedert. Da blitzte die Maske eines Revolutionärs auf, der die Polyphonie der Renaissance ungestüm in die Grenzüberschreitungen der Neuen Musik einfließen ließ und doch Hüter des Ordnungsprinzips im Linienspiel barocken Konzertierens war in einer sehr weit gefassten Restauration der Tonalität. Da ist die Neuinszenierung seiner 1929 vollendeten Oper Neues vom Tage am Landestheater Coburg hochwillkommen.
Die späten Zwanziger Jahre waren in Berlin die Zeit der Revue-Theater und Kabaretts, die gern aufgeregte Sensationslust und mondänen Lebensstil der blühenden Hauptstadt persiflierten. Der gefragte Librettist Marcellus Schiffer und Hindemith wollten (wie Weill in seiner Dreigroschenoper) in ihrer „lustigen Oper“ Szenen des Alltagslebens dieser Zeit wie eine satirische Nummernfolge einer Revue darstellen und zugleich in die Gattung von Opernkunst integrieren. Es ist die Geschichte von Laura und Eduard, deren Hauptbeschäftigung Streit und gegenseitige Vorwürfe sind. Doch deswegen einfach scheiden lassen konnte man sich damals nicht, da musste ein gravierender Scheidungsgrund gefunden werden. Eine „Seitensprung-Agentur“ vermittelt den schönen Herrn Hermann; wird die Romanze beim Rendezvous erst einmal entdeckt, ist das erforderliche Beweismittel erbracht. Was beim befreundeten Ehepaar M so reibungslos geklappt hatte, stößt plötzlich bei ihnen selbst auf unerwartete Gefühlsausbrüche und geradezu slapstickartigen Verwicklungen: Hermann hatte sich wieder einmal in seine Kundinnen verliebt, beim ersten Treffen von Laura und Hermann im Museum wirft der eifersüchtige Eduard eine kostbare Venusstatue vom Sockel, bei der folgenden Verabredung im Hotelbadezimmer trommelt die eifersüchtige Frau M das Hotelpersonal und Fotoreporter zusammen: ganz Berlin nimmt Anteil, ein willkommener Skandal für die Zeitungsblätter von „Neues am Tage“, Geld muss her für die Regulierung der Schäden!
In seinem überzeugenden Regieansatz lässt Tibor Torell das gealterte Ehepaar die Gegenwart des beschwerlichen Alters durchleben, dazu beide in mehrfacher Verjüngung in einer zweiten Erinnerungsebene zur Zeit der 50er Jahre spielen. Die Wiederholung des ewig ähnlichen Streits macht die ernste Belastung des Verhältnisses evident; zugleich ist die Komik von Szenen unwiderstehlich, wenn der gealterte Eduard seiner Laura in der Badezimmerszene zusieht oder die betagte Laura den smarten Eduard beim Versuch beobachtet, Geld für die Kosten der Ehekrise aufzutreiben. Sibylle Gädekes Bühne bebildert diese Szenen geschickt; ihre Kostüme unterstreichen die graue Tristesse des Alltags ebenso wie die glitzernde Kostümwelt der Salons.