Aloÿs Fornerod (1890–1965) ist im deutschen Sprachraum kaum bekannt. Sicher, er ist nicht einer der ganz Großen: ihn mit berühmten Zeitgenossen vergleichen zu wollen, wäre verfehlt. Er sah sich dezidiert als Teil des frankophonen Kulturkreises, ist allenfalls mit französischer Musik seiner Zeit in Beziehung zu setzen. Er hat durchaus auf das damals aktuelle kompositorische Schaffen reagiert, zugleich aber Volksnähe behalten und ebenso Einflüsse aus der Filmmusik mit in sein Œuvre integriert. Fornerods Werke sind vorwiegend in historischen Tondokumenten beschränkter Qualität zugänglich – Aufführungen und neuere Aufnahmen könnten helfen, ihn ins rechte Licht zu rücken.
Das besprochene Konzert war eines von mehreren in diesem Jahr zum Anlass von Fornerods 50. Todestag. Es wurde durchgeführt vom Orchester der Haute École de Musique (HÉMU) in Lausanne, in deren Konzertsaal: ein stattlicher Klangkörper, der mehr als die Hälfte des Saals für sich beanspruchte. Die Akustik des Raumes ist klar, eher trocken; der Schweizer Dirigent Emmanuel Siffert hat es aber verstanden, das Orchester klanglich auszutarieren.
Als erstes stand Fornerods Prométhée enchaîné (der angekettete Prometheus) auf dem Programm, ein Werk mit einem reichen Orchestersatz, „pièce symphonique pour grand orchestre“ untertitelt, also keine Ouvertüre zu einem Bühnenwerk. Es ist eine moderat moderne Komposition, vorwiegend atonal, gemäßigt dissonant, am ehesten vielleicht mit Musik des späten französischen Expressionismus in entfernte Beziehung zu setzen. Das Stück ist ein gutes Beispiel dafür, wie Fornerod archetypische Elemente aus Filmmusik „aufgesogen“ hat, denn es ist durchaus bildlich-illustrativ. Mit Ouvertüren zu Bühnenwerken hat es gemeinsam, dass es thematisch nicht geschlossen ist, sondern eine lose Abfolge von motivisch unterschiedlichen Abschnitten: einige eher melodisch, andere mehr rhythmisch geprägt, in Steigerungswellen, deren fast raketenhafte letzte abrupt in ein Piano übergeht und dann in Stille verklingt. Man kann Fornerod vielleicht anlasten, dass die Instrumentierung etwas holzschnittartig ist, nicht zu vergleichen mit der Raffinesse französischer Zeitgenossen. Emmanuel Siffert hat meines Erachtens sehr viel getan, die Schärfen von Fornerods Bläsersatz zu mildern, auszubalancieren, den Klang abzurunden. Dies ist auch das Verdienst der durchweg jungen Musiker im Orchester, die konzentriert und diszipliniert spielten. Trotz meiner begrenzten Erfahrung mit dem Komponisten spreche ich dem Werk durchaus Personalstil zu.
Für Fornerods Klavierkonzert wurde die kasachische Pianistin Oxana Shevchenko verpflichtet, die vor einigen Monaten an der HÉMU ihre Ausbildung abgeschlossen hat. Sie spielte den durchaus nicht leichten Klaviersatz absolut souverän, fließend, mit meist weichem Anschlag und dezidierter Agogik, klar, in den lauten Stellen eine Überbeanspruchung der Akustik vermeidend. Wenn man dem ersten Satz (Ouverture) etwas ankreiden kann, dann ist es am ehesten die Vielzahl von Themenkomplexen (immerhin kehrt Thema I in einer Art Reprise wieder); anderseits sind mehrere der Themen in eingängigem, populärem Volkston gehalten (manchmal vom Klavier mit virtuosen Gegenharmonien kontrastiert und untermalt), deren allzu extensive Ausbreitung nicht angebracht wäre.