Im Sommer hatte Kent Nagano mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin Mahlers Sechste Symphonie aufgeführt. Ein gutes halbes Jahr später glänzte er mit Mahlers Siebenter, die manche zwar als Fortsetzung der „Tragischen“ hören, die aber doch ganz anders ist.
Der Anfang des Konzerts gehörte allerdings nicht dem Riesenorchester, sondern fünf Sängerinnen, die, von Justus Barleben einstudiert, von den obersten Sonderplätzen aus a cappella das Responsorium „O vis aeternitatis“ Hildegard von Bingens sangen. Zu hören waren helle Einzelstimmen, eine Altstimme war nicht vorgesehen, die einander nur manchmal gegenseitig ergänzten, sonst einzeln und in klarer Diktion diese über 800 Jahre alte, von der Komponistin selbst als „Symphonie der Harmonie himmlischer Offenbarung“ bezeichnete Vokalmusik vortrugen, und die Herzen des Publikum erweichten.
Ohne Zäsur setzte der scharf intonierte punktierte Rhythmus ein, der Mahlers Siebente Symphonie eröffnet. Prachtvoll entfaltete sich das von Nico Schippers auf dem Tenorhorn vorgetragene gewaltige Thema dieser Introduktion. Doch übertönte das Orchester bald in grellen Fanfaren den Glanz und peitschten die Symphonie schließlich in die herbe Realität des Geschwindmarsches. Mit roher Wucht schmetterten die Hörner das spröde Hauptthema, dessen Varianten schneidig im hohen Tempo auf die Spitze getrieben wurden. Im geradezu exaltiert genommenen Seitenthema wirkten die vielen Ritardandi so, als wären sie aus dem Augenblick heraus musiziert und nicht sorgsam einstudiert worden. In der Durchführung, wo derartige Exzesse eigentlich zu erwarten gewesen wären, öffneten Dirigent und Orchester die Pforten und ließen, von Fanfaren angekündigt, mit traumwandlerischer Sicherheit die beiden Themen zu einer Gestalt zusammenwachsen. Nun kam im vollen Orchester jene Harmonie zu Gehör, die Hildegard von Bingen in fünf Frauenstimmen zu besingen wusste! Doch derlei Träume waren nur von kurzer Dauer und die Aufführung musste die Zuhörer wieder an den Anfang zurückwerfen. Sehr überzeugend gelang die Reprise. Wenn das Hauptthema sich, nach seiner Wiederholung, endlich nach E-Dur durchgekämpft hatte, akzentuierte Nagano zu der Hauptstimme den chromatisch fallenden Bass so heraus, dass mit ihm auch gleich die Vergeblichkeit dieser Anstrengung hervorgekehrt wurde. Das Seitenthema ließ er dagegen wie als Erinnerung an den Traum aus der Durchführung ertönen.